"Vorbild sein und Inklusivität leben"

Interview mit Dr. Bruk Ayele Asale, ehemaliger Leiter des Mekane-Yesus-Seminars.

Dr. Bruk Ayele Asale war von 2016 bis Ende 2024 Präsident des Mekane-Yesus Seminars in Addis Abbeba. Die theologische Hochschule, zu der auch eine Fakultät für Musik und Medien gehört, hat sich in dieser Zeit erfolgreich entwickelt. Nach acht Jahren konnte der Theologe seine Amtszeit nicht mehr verlängern. Zu seinem Nachfolger wurde im Dezember 2024 Dr. Misgana Mathewos gewählt.

Während seines jüngsten Aufenthalts in Hermannsburg kurz vor Ende seiner Amtszeit blickte Dr. Bruk auf seine Zeit als Direktor des Mekane-Yesus-Seminars zurück. Er sprach auch darüber, wer seine Vorbilder sind und welche Bibelverse ihm Kraft gegeben haben.

Herr Dr. Bruk, Sie sind eine Woche lang in Deutschland und führen zahlreiche Gespräche. Welche Bedeutung haben diese Begegnungen für sie?

Besonders das Treffen mit Dr. Emmanuel Kileo, dem Direktor des ELM war wichtig für mich. Er ist neu im Amt und ich hatte Gelegenheit, mit ihm zu besprechen, was die Partnerschaft zwischen dem Mekane-Yesus-Seminar (MYS) und dem ELM für uns bedeutet. Darüber hinaus habe ich die Gelegenheit genutzt, allen ELM-Führungskräften meinen aufrichtigen Dank für ihre wohlwollende Unterstützung und aufrichtige Partnerschaft während meiner Amtszeit als MYS-Präsident auszusprechen.

Wenn Sie auf den Anfang ihrer Präsidentschaft zurück blicken, was war damals anders? Welche Veränderungen gab es während Ihrer Präsidentschaft? 

Um ehrlich zu sein, 2016 war ich nicht besonders glücklich über diese Anfrage der Kirche. Es ging damals bergab mit dem Mekane-Yesus-Seminar. Aber ich wurde dann etwas gedrängt, und es war erstaunlich, was passiert ist. .

Mir kam damals der Text aus Epheser 3, 20-21 in den Sinn. Er hat mir sehr geholfen. Die Verse besagen, dass Gott mit uns und in uns arbeiten möchte. Wir werden aktiv und Gott wirkt gleichzeitig. Das tut er weit wirkungsvoller, als wir auf den ersten Blick merken und erwarten würden. Das Beeindruckendste war, dass die Zahl der Studierenden deutlich gestiegen ist.

Vor acht Jahren hatten wir etwa 160 Studierende, jetzt sind es 531. Damals gab es 24 Fakultätsmitglieder, jetzt sind es 54, darunter 20 Frauen. Vor acht Jahren gab es nur zwei weibliche Fakultätsmitglieder, jetzt sind es mehr als 20. Auch die Zahl der Studentinnen hat sich in dieser Zeit deutlich erhöht, von weniger als 10 auf jetzt über 130. 

Auch was die Infrastruktur und die finanzielle Nachhaltigkeit betrifft, hat das Seminar große Fortschritte gemacht. Der Aufbau von personellen Kapazitäten, insbesondere die Rekrutierung junger Lehrkräfte, war bemerkenswert.

Haben sich auch die Inhalte verändert?

Damals hatten wir nur ein Programm, jetzt ist es eine ganze Reihe. Das neue Programm für Bibelübersetzung ist sehr wichtig, dort haben wir jetzt den Master-Level gestartet. Wir haben ein neues Programm für Bibelarbeit, einen Fachbereich Mission, ein Master-Programm für christlich-muslimische-Beziehungen. Es gibt ein neues Postgraduierten-Diplom (PGD) für biblische und theologische Studien, ein neues Master-Programm, ein Programm für Kinder- und Jugendarbeit auf Bachelor-Ebene und in der Fakultät für Musik und Medien ist Gottesdienstmusik ein neues Fach.

Und wir haben den TEE-Studiengang (Theological Education by Extension) vom Diplom- auf das Bachelor-Niveau und seit 2024 auf ein PHD-Programm erweitert. Insgesamt hat sich auch die Qualität der Lehre deutlich verbessert.

Also sind Sie zufrieden, wenn Sie auf die vergangenen acht Jahre zurück blicken? Oder gibt es noch offene Wünsche?

Beides. Ich hatte nicht erwartet, dass wir das alles schaffen würden in acht Jahren. Aber natürlich gibt es auch noch viel zu tun. In der Mekane-Yesus-Kirche kann man nur zwei Wahlperioden im Amt sein. Aber wenn ich noch einmal die Chance hätte, weiter zu arbeiten, würde ich mich dem Aufbau des Archivs widmen, aber auch den Veröffentlichungen und ich würde weitere akademische Programme einrichten, die für die Kirche zeitgemäß und notwendig sind. Dazu gehören eine Abteilung für Frieden und Versöhnung, Christliche Mitarbeitenden-Führung, ein Zentrum für globale Missionsstudien, ein Zentrum für äthiopische Kirchenforschung, ein Zentrum für Sprachen und weitere.

Wenn Sie die gesamte Ev.-luth. Kirche in Äthiopien betrachten, was sind die größten Herausforderungen im Moment? 

Also, zunächst gibt es viele gute Entwicklungen. Die Kirche wächst insgesamt, die Basis funktioniert gut. Die Gemeinden sind sehr stark mit Einsätzen und Evangelisation beschäftigt. Die Missionsarbeit ist sehr lebendig und die Laien sind stark in den Dienst eingebunden. Aber natürlich haben wir auch viele Probleme. Die ethnischen Spaltungen im Land sind eine riesige Herausforderung für die Kirche. Die Kirche sollte das Licht der Welt sein. Gleichzeitig bringen sich Menschen wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit auch innerhalb der Kirche um. Die Menschen sind besessen von den Gedanken an ihre ethnische Identität. Da tritt der Gedanke, dass wir alle eins sind in Christus in den Hintergrund. Manchmal frage ich mich, ob wir wirklich das Evangelium verstanden haben, dass wir erneuert sind in Jesus Christus.

Wenn eine Gemeinde einen neuen Pastor beruft, fragt man sich als Erstes, welcher Ethnie er angehört. Und in manchen Gegenden kehren die Leute wieder zu ihren traditionellen Religionen zurück, manche sind sowohl in der Kirche, als auch diesen Traditionen verbunden. 

Um welche ethnischen Gruppen geht es konkret bei diesen Konflikten?

Generell würde ich sagen, dass dieses Problem überall präsent ist. Auch innerhalb der Kirche ist es deutlicher sichtbar. Da ist zum Beispiel die Spaltung zwischen Oromo und Nicht-Oromo. Aber auch innerhalb der Oromo gibt es Konflikte, je nachdem aus welcher Region sie stammen. Allein im Süden gibt es ungefähr 50 verschiedene ethnische Gruppen. Sie sind Nachbarn und bringen sich gegenseitig um und brennen auch Kirchen nieder. Dann gibt es Vergeltung. Die Kämpfe sind überall. 

Wenn Sie auf diese traurige Realität schauen, welche Rolle kann das Mekane-Yesus-Seminar spielen? Wie kann es die Situation verändern?

Wir haben zwei Wege. Die Studierenden kommen aus verschiedensten Regionen und das diskutieren wir offen und thematisieren es in Seminaren. Außerdem versuchen wir, Vorbild zu sein.  Wir beschäftigen Fakultätsmitglieder aus allen Regionen und Ethnien. Wir wollen inklusiv sein in Bezug auf Ethnien, auf Gender, auf verschiedene geistliche Strömungen, die uns historisch geprägt haben. Wir lehren die Inklusivität, wir praktizieren sie und wir diskutieren. Es ist schwierig, aber wir geben unser Bestes. 

Haben Sie auch Studierende aus dem Ausland? 

Ja, aus Eritrea, Süd-Sudan, Somalia, Kenia, früher auch Ruanda, Sierra Leone und Tansania. Aufgrund der Bibelübersetzungsprogramme hoffen wir auch darauf, dass Studierende aus Kamerun, Ghana, Botsuana und Liberia zu uns kommen.

Als Präsident hatten sie viele repräsentative und organisatorische Aufgaben. Werden Sie sich danach wieder mehr der Lehre widmen?

Wenn ich meine Amtszeit beende, werde ich das tun. Und ich plane, mich mehr der Forschung zu widmen. Aber vorher möchte ich ein Sabbatical nehmen und es nutzen, um über die Herausforderungen und die Identität der Mekane-Yesus-Kirche zu schreiben.

Was interessiert Sie in der Forschung am meisten?

Ich möchte gerne mehr über unsere aktuellen Herausforderungen herausfinden. Warum haben wir diese speziellen Probleme in Äthiopien? Die Kirche wächst, wir verkünden die christliche Botschaft und gleichzeitig bringen wir einander um. Ich möchte erforschen, welche Werkzeuge für Frieden und Versöhnung nötig sind.

Darüber hinaus bin ich sehr interessiert an Gender-Gerechtigkeit, insbesondere weil wir eine sehr patriarchalische Gesellschaft sind und es viel Missbrauch an Frauen gibt. Frauen sind unterdrückt – in der Kirche und außerhalb. Und was auch noch sehr wichtig für uns ist: Wie wir die ökologische Frage in unseren Glauben einbeziehen können.

Gibt es bezüglich der Suche nach Frieden und Versöhnung Personen, vielleicht auch in der Geschichte, die Ihnen Mut machen und Vorbild sind?

Die größten Vorbilder sind meine Eltern, besonders meine Mutter. Wir waren 14 Kinder zuhause. Natürlich hatten wir viele Konflikte untereinander. Trotzdem war es ein friedliches Haus aufgrund der Weisheit meiner Eltern. Meine Mutter hat uns gelehrt, dass man immer einen Preis zahlen muss für den Frieden. Frieden kommt nicht einfach, weil man sich das wünscht. Er ist ein wertvolles Gut.

An historischen Personen ist Nelson Mandela das beste Beispiel für mich: Vergebung ist möglich. Und Frieden ist immer mit Gerechtigkeit verbunden aus Mandelas Sicht. Die Goldene Regel der Bibel lautet: Tu anderen nicht etwas an, was du selbst für dich auch nicht möchtest. Mandela hat gegen weiße Vorherrschaft gekämpft, aber genauso gegen schwarze. Auch Gudina Tumsa (früherer Generalsekretär) ist ein Vorbild für Frieden, Versöhnung und Gerechtigkeit.

Wie gefällt es Ihnen in Deutschland? Haben Sie Beobachtungen gemacht, vielleicht zu Dingen, die Sie überraschend, komisch oder beeindruckend finden?

Das erste Mal, vor acht Jahren, war ich etwas geschockt über die Säkularisierung. Bevor ich Präsident des Mekane-Yesus-Seminars wurde, war ich drei Monate lang in Berlin und habe verschiedene Kirchen besucht. Es gab auch damals nur wenige Menschen, die in die Kirche gehen und dort aktiv sind. Aber die, die dort sind, sind es aus vollem Herzen und haben eine Leidenschaft für die christliche Botschaft.
 

Splashscreen