Wir bleiben zuversichtlich - Theologie kann verbinden

Dr. Anton Tikhomirov über neue Wege der theologischen Ausbildung in Russland.

Bei einem Besuch der hannoverschen Zweigstelle des Ev.-luth. Missionswerks in Niedersachsen, berichtete Dr. Anton Tikhomirov im Rahmen einer gut besuchten, öffentlichen Veranstaltung über den aktuellen Stand der theologischen Ausbildung und die Situation der lutherischen Kirche in Russland. Seit 2007 ist Tikhomirov Rektor des Seminars und seit Juni 2022 stellvertretender Erzbischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Russland (ELKR).  Die Veranstaltung wurde vom Gustav Adolf Werk und dem ELM gemeinsam organisiert.

Die Begrüßung übernahm Michael Fendler in seiner Funktion als Vorsitzender des Gustav Adolf Werkes. Mit Bezug auf Galater 6,19: "Lasst uns Gutes tun und nicht müde werden; denn zu seiner Zeit werden wir auch ernten, wenn wir nicht nachlassen" setzte er gleich eingangs ein Signal des "sowohl als auch", das sich durch den Abend ziehen sollte.

Fendler konstatierte, dass es sowohl in Deutschland, wie in Russland, Vieles gebe, was müde mache. Dass aber unsere Kräfte nicht das Maß aller Dinge seien. Sondern "dass Gott mit uns in der Spannung ist, dass einerseits die Kräfte endlich scheinen und wir gleichzeitig  wissen, was es heißt, Gutes zu tun, als auch eine Vorstellung davon haben, was das Gute ist."

Der stellvertretende Erzbischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Russland, Pastor Dr. Anton Tikhomirov, beschrieb die derzeitige Situation so: "Es gibt viel zu tun bei wenig Möglichkeiten. Trotzdem bleiben wir zuversichtlich."

Theologische Ausbildung online 

Seit 2019 findet die theologische Ausbildung ausschließlich online statt. Auf die Lehrmaterialien auf der digitalen Plattform greifen derzeit 40 Studierende aus Georgien, Moldawien, der Ukraine, Belarus und Kasachstan zu. "Theologie kann verbinden, wo alles andere Menschen trennt", freut sich Tikhomirov. "Alles ist ziemlich lebendig!"

Was die Ausbildung von zukünftigen Pastor*innen angeht, stehen vor allem Gemeinden, die weit enfernt von Ballungszentren und abgeschnittem von kirchlichen Ausbildungs- und Verwaltungseinheiten sind, vor dem Problem, dass sie keine Pastor*innen mehr haben. Da hilft es, wenn die Studierenden ihre Wohnorte für ein Studium nicht verlassen müssen. Da es keine Regelstudienzeit gibt, haben die Studierenden zusätzlich die Möglichkeit, nach ihrem eigenen Tempo zu studieren und auch im eigenen Tempo die Abschlussprüfungen zu absolvieren. "Das ist besonders wichtig für Menschen, die schon in der Gemeinde arbeiten. Viele unserer Studierenden haben schon einen Beruf", berichtet Tikhomirov. Allerdings sind auch präsentische Begegnungen möglich, zwar nicht für alle gleichzeitig, aber in kleinen Gruppen. Das Dozententeam ist international (wenngleich die meisten Dozierenden aus Russland kommen) und interkonfessionell. Grundvoraussetzung ist, das alle Dozent*innen russischsprachig sind, denn russisch ist auch die Unterrichtssprache.

Nach dem Studium werden die Studierenden ordiniert und arbeiten in ihren Gemeinden als ordinierte Pastor*innen. Ein Drittel der Studierenden sind Frauen. Der Studiengang ist als dreijähriger Bachelorstudiengang konzipiert, der allerdings nur innerhalb der "Union of Ev.Luth. Churches" anerkannt ist. An der Beantragung einer staatlichen Lizenz wird derzeit gearbeitet.

Aktuelle Situation der Kirche 

Lutherische Christinnen und Christen bilden in Russland mit etwa 20.000 Mitgliedern, die sich in dem flächenmäßig größten Staat der Welt über ein riesiges Gebiet verteilen, eine "überschaubare Kirche" so Tikhomirov. "Wir haben eine Pensionierungswelle und einen großen Mangel an Pastor*innen und Prediger*innen. Gleichzeitig sind die Probleme und damit auch die Lösungen immer individuell."

Zwar gebe es überall finanzielle Probleme, aber viele Gemeinden haben entdeckt, dass die Verwendung von Kirchgebäuden für Konzerte ein guter Weg sein kann, sich selbst zu finanzieren. „In der Kathedrale St. Peter und Paul in Moskau finden beispielsweise oft kulturelle Veranstaltungen statt. Wir haben dort auch eine gute Orgel und entsprechende Konzerte werden gut besucht. Orgelmusik ist in Russland sehr populär", berichtet Tikhomirov. 

Eine weitere allgemeine Herausforderung sieht Tikhomirov darin, schnell auf aktuelle Entwicklungen zu reagieren. Traditionell seien die Entscheidungswege in Kirchen und ihren Leitungsgremien sehr lang und beratungsintensiv. "Wir brauchen schnelle Entscheidungen", ist Tikhomirov überzeugt. Kirchenleitende müssten in der Lage sein, Entwicklungen wahrzunehmen und entsprechend schnell darauf zu reagieren. Das werde für das Wohl und den Erhalt der Kirche in Zukunft immer wichtiger. "In unserem Seminar versuchen wir vernünftige Theologie zu betreiben in einem Kontext von ständig neuen kirchlichen, wirtschaftlichen und politischen Wirren und Herausforderungen. Heutzutage gehört die Notwendigkeit dazu, Brücken über Feindseligkeiten hinweg zu bauen. Das gute theologische Gespräch soll ein offenes, scharfes aber auch ein versöhnendes Gespräch sein." 

 

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