Predigt Cristina Scherer beim Gottesdienst am Sonntag, 23. Juni 2024, im Rahmen des Missionsfestes
"Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da ist und der da war und der da kommt!" Amen!
Liebe Geschwister, die Hauptaufgabe der Kirche ist es, missionarisch zu sein: gehen, verkünden, taufen, predigen, helfen, dienen, lieben..., das sind die evangelischen Gebote, die Jesus Christus seinen Nachfolgern aufgetragen hat. Aber was bedeutet das für uns heute?
Die Kirche ist heute herausgefordert, das Evangelium nicht zu verleugnen, sondern es anzunehmen, es im Leben der Menschen gegenwärtig zu machen, seine Botschaft realitätsnah zu interpretieren, eine diakonische Kirche zu sein, eine Helferin, eine Förderin der Grundbedingungen für ein menschenwürdiges Leben, Gerechtigkeit und Frieden.
Es ist die Aufgabe der Kirche, die Liebe Gottes zu verkünden und darüber nachzudenken, mit relevanter theologischer Perspektive, mit Antworten für viele aktuelle Fragen. Es ist auch eine der Aufgaben der Kirche, sich den zahllosen Formen von Gewalt, Unterdrückung und Repression entgegenzustellen, das Böse und die Ungerechtigkeit anzuprangern, die Schwachen, Bedürftigen, Hilflosen und Ausgegrenzten zu unterstützen, allen ohne Unterschied zur Seite zu stehen.
Uff! Was für eine Aufgabe! Ich weiß, das ist alles sehr utopisch, aber wenn wir unsere Kanzeln nicht nutzen, um über Träume und Utopien zu sprechen, werden wir dem von Jesus Christus gelebten und verkündeten Evangelium nicht treu sein. Utopien bewegen uns, bringen uns zum Gehen, ermutigen uns und geben uns Halt. Inmitten von so vielen Utopien werden manche Träume auf dem Weg wahr.
Viele Herausforderungen stehen derzeit vor den Kirchen in aller Welt. Es gibt viele Netzwerke, die uns miteinander verbinden, die uns dazu bringen, Kontakte zu knüpfen und Themen zu diskutieren, die für so viele Realitäten wesentlich sind. Und in dieser Flut von Informationen muss die Kirche diejenige sein, die die anderen noch sieht, die ihnen in die Augen schaut, die sie an der Schulter berührt, die mit denen lächelt, die sich freuen, die an den Ufern so vieler Flüsse und Wegen sitzt und mit denen weint, die weinen.
Kirche zu sein bedeutet, Menschen zu ermutigen, inmitten von Ruinen Brücken zu bauen und Wege zu verbinden, um die Menschen wieder mit Gott in Verbindung zu bringen, dem Gott, der in dieser Welt präsent und relevant ist, dem Gott, der mit uns geht, der uns motiviert, zu teilen, frei zu sein, der mit uns am Tisch sitzt und Brot und Fisch teilt, der uns verspricht: "Ich werde mit euch sein, wohin ihr auch geht".
Auf diese Weise hat sich Gott in der Geschichte seines Volkes gezeigt, durch seinen Sohn Jesus Christus, der bereit war, mit den Menschen zu gehen. Und inmitten dieses Weges erfüllte er seine Mission, wie uns der Text aus dem Evangelium von Lukas 8,1-3 erzählt:
Frauen in der Nachfolge Jesu
Und es begab sich danach, dass er von Stadt zu Stadt und von Dorf zu Dorf zog und predigte und verkündigte das Evangelium vom Reich Gottes; und die Zwölf waren mit ihm, dazu etliche Frauen, die er gesund gemacht hatte von bösen Geistern und Krankheiten, nämlich Maria, genannt Magdalena, von der sieben Dämonen ausgefahren waren, und Johanna, die Frau des Chuza, eines Verwalters des Herodes, und Susanna und viele andere, die ihnen dienten mit ihrer Habe.
Was uns dieser Text lehrt?
- Jesus bewegt sich, macht sich auf den Weg: Es ist nicht möglich, Kirche zu sein und Mission zu betreiben, wenn wir keine Risiken eingehen, wenn wir nicht hinausgehen, um den Menschen zu begegnen, zusammen mit den Menschen, im Dialog, in der Herausforderung, in der Predigt, in der Gastfreundschaft, als Salz und Licht, als liebende, ermutigende und motivierende Präsenz. Von Anfang an wurden die Christen "die auf dem Weg sind" genannt. (Vgl. Apostelgeschichte 9,2). Auf dem Weg kann viel geschehen, wo Gott sich offenbart und mit uns geht. So können wir vertrauen und bezeugen: „Ich weiß nicht, wohin Gott mich führt, aber ich weiß, dass er mich führt.“
- Auf dem Weg gibt es Vielfalt, die gefeiert wird: Männer und Frauen, Kinder, Jugendliche, Alten und Weisen, Menschen die geheilt oder noch krank sind, Menschen mit Vermögen und andere mit geringen Mitteln, Menschen mit unterschiedlichen Gaben. Diese große Vielfalt und menschliche Pluralität sollten gefeiert werden, willkommen geheißen, in die Art und Weise des Seins der Kirche integriert werden, denn wir sind nicht nur eine Kirche für einige, sondern mit allen und für alle da.
- Jesus und die Menschen, die ihn begleiteten, hatten ein konkretes Ziel: das Reich Gottes zu verkünden. Was für eine wunderbare und konkrete Sendung der Kirche unter uns heute, die wir manchmal vergessen. Das ist immer noch unsere Aufgabe: das Reich Gottes unter uns zu verkünden, mit Worten, Gesten, Taten, konkreter Unterstützung verschiedener Projekte, an so vielen Orten, mit dem Teilen dessen, was wir haben, mit verschiedenen Ressourcen, mit Kreativität, Leichtigkeit, Freude, Frieden, Gerechtigkeit und Versöhnung. Auf diesem Weg können wir glauben und bekennen, dass das Gute und die Liebe stärker sind als die bösen Kräfte dieser Welt. Wir wollen eine Kirche sein, die Menschen motiviert, Brücken zu bauen.
Liebe Gemeinde, in diesem Jahr feiern wir das 175-jährige Bestehen des ELM/Missionswerkes in Hermannsburg. Wie viel wurde gelebt, wie viel wurde gepredigt, wie viel Freude wurde geteilt, wie viel Leid wurde geteilt, wie viele Zweifel wurden ausgeräumt, wie viele Menschen wurden unterstützt durch die Mission, die hier unter uns entstanden ist und weiterhin mit der Welt geteilt wird?
Als Missionswerk freuen wir uns gemeinsam mit 19 Partnerkirchen auf vielen Länder dienen zu können und steht mit ihnen in einem missionarischen Dialog, auf dem Weg. Durch unsere Arbeit und Mittel wir erleben was bedeutet Kirche Weltweit zu sein. Angesichts dieser schönen Geschichte können wir feiern und auch unsere Stärken und Schwächen erkennen!
Wir sind Teil einer Kirche, die sich selbst so akzeptiert, wie sie ist, die ihre eigene Identität, Geschichte, Traditionen, Prozesse, Erfolge und Verluste hat. Eine Kirche, die sich selbst annimmt, sich auf ihren Weg wirft, sich bewegt, mit den Menschen geht, feiert, lebt, verkündet, hört, spricht, stärkt, hilft, die nicht stagnieren will, sondern im Glauben und in der Liebe handelt.
Ja, als Kirche sind wir auch manchmal versucht, aufzugeben, aber warum tun wir es nicht? Weil wir an den glauben, der uns mit Hoffnung erfüllt, weil er von den Toten auferstanden ist, weil wir nicht wie die sind, die Paulus "hoffnungslos" (vgl. 1 Thessalonicher 4,13) nennt, weil wir Hoffnung haben, und diese Hoffnung trägt uns, nährt uns, hebt uns vom Boden ab und setzt uns in Bewegung.
Dazu braucht die Kirche eine Haltung: Sie muss gehen, hinausgehen, sich bewegen, aufstehen, sie kann nicht einfach mit verschränkten Armen dastehen, sitzen und warten, sie muss aktiv sein, Arme und Beine haben, einen Puls und ein Herz. Wie ein Gedicht sagt: Wir sind heute die Hände, die Füße und der Mund Christi!
Liebe Gemeinde, Mission erfordert Anstrengung, Mission erfordert Mut, Mission erfordert Kühnheit, Mission erfordert Bewegung, so wie der Wind weht und wirkt, wo er will, so will der Geist Gottes uns bewegen... Mission erfordert praktische und konkrete Antworten auf die Schmerzen der Welt, Mission erfordert Hände, um Brücken zu bauen, diejenigen zu unterstützen, die angesichts unzähliger ungerechter Tode leiden, diejenigen zu trösten, die bleiben und den Weg des Lebens weitergehen...
Das ist die Mission der Kirche: Es wird Zeiten geben, in denen wir Menschen beim Wiederaufbau von Brücken unterstützen, in denen die Hände ausgestreckt werden, in denen Unterkünfte geschaffen und Leben gerettet werden, es wird Zeiten geben, in denen wir als Kirche auch den Hunger stillen, wir werden Kleider teilen, wir werden Brot kneten, wir werden sichere Räume für Menschen schaffen, die unter verschiedenen Formen von Gewalt, Unterdrückung, Ausgrenzung und Segregation leiden, die bereits hier unter uns sind. Dafür wurden wir geschaffen, um zu lieben, zu dienen, zu unterstützen, unseren Mitmenschen zu helfen.
Unsere Mission ist auf diesem Weg nicht einfach: Ein lebendiges und aktuelles Beispiel dafür ist der Priester Júlio Lancellotti, aus Sao Paulo/Brasilien dessen Arbeit Obdachlose aufnimmt und begleitet. Er erlebt die Menschwerdung des Evangeliums in Wort und Tat und indem er diese spirituelle, soziale und diakonische Arbeit übernimmt. Sein Leben ist ständig bedroht und seine Arbeit wird von den Eliten und der extremen Rechten in dem Land kritisiert.
Júlio Lancellotti sagt: "Ich kämpfe nicht, um zu gewinnen. Ich weiß, dass ich verlieren werde. Ich kämpfe dafür, bis zum Ende treu zu sein“. Er weiß auch, dass er keine Chance hat, diesen Kampf zu gewinnen, dass seine Perspektive das Scheitern ist. Ein anderes Beispiel kommt von Jullyene Lins, einer brasilianische Verteidigerin von Frauen, Kindern und Minderheiten. Sie sagte, als sie über die Sache sprach, für die sie sich einsetzt: "Ich habe große Angst vor dem Sterben, ermordet zu werden. Aber gleichzeitig mit der Angst habe ich auch die Kraft zu kämpfen“.
Schwestern und Brüder, lasst uns mehr Mut haben, eine missionarische Kirche zu sein, die sich auf den Weg macht. Nicht um jedes Mal zu gewinnen, sondern aus der unermesslichen Freude heraus, der Predigt und der Verkündigung des Reiches Gottes treu zu bleiben. Lasst uns mehr Mut haben, dem Evangelium treu zu sein. Mögen wir den Mut haben, Begegnungen mit Menschen zu feiern und sie im Glauben, in der Hoffnung und in der Liebe zu stärken.
Haben wir keine Angst zu bitten, denn wir werden nicht immer gewinnen. Mögen wir wissen, wie wir unsere menschlichen Grenzen und Schwächen akzeptieren können... Wir können nicht alles tun, wir wissen nicht alles, aber auf dem Weg, im Prozess wird Leben gemacht und wieder gemacht... Mögen wir ohne Furcht dienen, „Furcht ist nicht in der Liebe, sondern die vollkommene Liebe treibt die Furcht aus“, (vgl. 1. Johannes 4,18).
Was lässt uns heute noch an die missionarische Mission der Kirche glauben, inmitten so vieler krummer Wege, zerstörter Brücken, zerbrochener Leben, leerer Aktivitäten oder Kirchen?
Für mich ist es die feste und starke Überzeugung, dass, was auch immer geschieht, unser Glaube nicht schwindet, unsere Hoffnung gerade dort gestärkt wird, wo wir schwach, zerbrechlich, menschlich sind, wo die Hoffnung wieder auftaucht und sich als stark und unbesiegbar erweist, so wie die Kraft der Auferstehung am Ostermorgen, wo sie von den Rufen der Frauen widerhallte: Er lebt, er lebt!
Im Süden Brasiliens erweist sich die Kirche, als missionarisch, wenn sie mit ihrer Diakonie hilft, schlammige Häuser zu säubern, wieder aufzubauen, was die Kraft des Wassers zerstört hat, Menschen zu motivieren, Kleidung und Lebensmittel zu spenden, um sich vor der Kälte zu schützen und den Hunger von mehr als 2 Millionen Betroffenen in nur einem Bundesstaat zu stillen. Und an so vielen anderen Orten in der Welt leiden die Menschen ebenfalls unter klimatischen, politischen, sozialen, strukturellen und humanitären Krisen... und wir sind dort als Kirche aufgerufen, uns auf den Weg zu machen, wie Jesus es getan hat, von Dorf zu Dorf, von Mensch zu Mensch.
Die Hoffnung steigt trotz der Pharaonen, singen die Frauen Brasiliens. Das bedeutet, dass, auch wenn viele Brücken durch Naturgewalten oder durch den Hass der Menschen zerbrochen sind, sie von vielen Händen wieder aufgebaut werden müssen, mit viel Engagement, Hingabe, Arbeit, Zuneigung. Diese Brücken werden die Wiederverbindung von Leben, Orten, Herzen, Geist und Beziehungen ermöglichen.
Wir sind Wesen der lebendigen Hoffnung, aber wir sind auch Wesen der überfließenden Freude, denn „die Freude des Herrn ist unsere Stärke“ (vgl. Nehemia 8,10). Die Freude, die es in uns ausdrückt, wenn wir Mitgefühl und Empathie erfahren, wenn wir unsere Hände im Gebet und in der Tat falten, wenn wir aus Glauben und Liebe dienen. Möge Gott uns befähigen, inmitten von so viele Schmerzen immer einen Weg zu finden, Balsam, Ermutigung, Heilung und Erfrischung zu sein. Schmerz und Tod werden nicht das letzte Wort in dieser Welt haben!
In der Gewissheit, dass Gott mit uns auf dem Weg ist und uns nicht allein lässt, wollen wir den Weg weitergehen, ohne zu vergessen, dass wir berufen sind, inmitten entmutigender Situationen Brücken zu bauen und Hoffnung zu verkünden. Derjenige, der uns trägt, ist derjenige, der mit uns in lebendiger Hoffnung geht, denn er lädt uns ein, durch Worte und Taten Zeugnis von seinem Leben, seinem Tod und seiner Auferstehung abzulegen. Er sagt uns zu: Ich werde mit dir sein und ich bin immer bei dir, wohin du auch gehst, nimm meine Hand und geh!
Seien wir kein Stolperstein mitten auf den Wegen, sondern eine Brücke, die verbindet, die wieder Menschen verbindet, die das Leben leichter macht, die Leben, Projekte und Träume vereint...
Oft höre ich hier die Frage: Macht es noch Sinn, eine missionarische Kirche zu sein?
Ja, sicherlich, deshalb freuen wir uns über die Geschichte von 175 Jahren Mission hier in der Welt und bitten um Gottes Segen für die kommende Zeit. Ich bin sehr dankbar, dass ich Teil dieser Geschichte sein und an diesem Austauschprogramm hier unter Ihnen teilnehmen kann. Ich möchte auch äußern, dass meine Berufung auch das Ergebnis der ELM-Mission ist, denn ich wurde von einem Pastor konfirmiert, Wolfgang Fromm, der in Brasilien gearbeitet hat und hier am Missionsseminar studiert hat. Zu dieser Zeit und mit den Erfahrungen, die ich in der Gemeinde machte, wurde meine Berufung geweckt. Deshalb können wir immer darauf vertrauen, dass Gott uns stärkt für neue und gute Wege, die wir gehen können, zusammen mit Kirchen, von denen wir träumen können, und Projekten, die wir hier und in der Welt aufrechterhalten können.
Lassen wir uns von den Jüngerinnen Jesu inspirieren, die durch einfache und praktische Gesten des Willkommens, den Glauben leben, Güter und Gaben teilen und die Leichtigkeit des Lebens durch Freude, Güte, Hoffnung und Frieden feiern!
Gott ist mit uns auf unserem vielfältigen missionarischen Weg und wird es immer sein, Amen!
Gebet:
Lasst uns Gehende bleiben.
Wir sind nicht ganz
zu Hause auf dieser Welt.
Wenn wir pilgern,
sind wir nicht nur wir.
Er geht mit. Er ist dabei.
Wir sind unterwegs
mit Dir, Gott,
durch Dunkel und Nässe,
durch Nebel und
oft ohne Weg,
und nicht selten ohne Ziel.
Wir sind Wanderer.
Wir sind Gehende.
Wir sind noch nicht
ganz angekommen.
So wandert Gott
mit uns und lehrt uns
das Gehen und das Suchen.
(von Dorothee Sölle)