Gender, Glaube und Gesellschaft

Teilnehmende aus Afrika, Asien und Lateinamerika diskutierten bei Gender-Sommerakademie

Geschlechtergerechtigkeit, geschlechterbasierte Gewalt, der Umgang von Kirche und Gesellschaft mit unterschiedlichen sexuellen Orientierungen – all das verbirgt sich hinter dem Begriff „Gender“. In Deutschland spitzt sich die mediale Debatte nicht selten auf das so genannte „Gendern“ zu. Dabei gibt es viele andere Möglichkeiten, sich der thematischen Bandbreite von Gender anzunähern. Das wurde Anfang Juli bei der internationalen Gender-Sommerakademie deutlich, die eine Woche lang in Hermannsburg und Hannover stattfand. Veranstalter waren das Ev.-luth. Missionswerk in Niedersachsen (ELM) unter Federführung der Referentin Gender International, Gabriele De Bona, gemeinsam mit den Evangelischen Frauen*.

"Ein bisschen wie nach der Apartheid"

„Es ist mit der Gleichberechtigung ein bisschen wie nach der Apartheid“, sagt Pastorin Petra Röhrs aus Südafrika in einer der ersten Diskussionsrunden. „Wir stecken immer noch in den alten Mustern.“ Am ersten Tag der Gender-Akademie blicken die acht Teilnehmenden aus Südafrika, Malawi, Botswana, Brasilien und Indien auf ihren persönlichen Bezug zum Thema. Die meisten haben als Mitarbeitende von Partnerkirchen des ELM berufliche Bezüge; darüber hinaus wurde jede und jeder an einem bestimmten Punkt des Lebensweges für Genderfragen sensibilisiert. Bei den Frauen war dies zumeist die Beobachtung, dass der Bruder oder Vater andere Rechte hatte als sie selbst bzw. die Mutter. Ein Teilnehmer aus Südafrika war als ehemaliger Polizist hautnah mit genderbasierter Gewalt konfrontiert. Er habe „das Schlimmste gesehen“ und konnte es nicht mehr ausblenden. Deutlich wird an diesem ersten Tag auch, dass einige der Teilnehmenden nicht in den herkömmlichen Rollenbildern aufgewachsen sind. „Ich bin so erzogen, dass es keine Frauenarbeit ist, zu kochen und zu putzen“, berichtet John Bvumbwe aus Malawi. Petra Röhrs, Pastorin aus Südafrika, erzählt von ihrer Großmutter, die als starke und mutige Frau ein Vorbild für sie gewesen sei und von ihrem Sohn, der gerne strickt.

Aus der Bibel Bezüge zum Thema ableiten

Neben den persönlichen Prägungen, finden die Teilnehmenden jeden Tag aufs Neue über eine Bibelarbeit Zugang zu verschiedenen Facetten von Genderthemen. Sprüche 31,8 (Tu deinen Mund auf für die Stummen...) steht als Motto über der gesamten Veranstaltung, aber auch in den Briefen an die Korinther (1. Kor. 12,26), im Buch Levitikus 19,15 oder Jesaja 1,17 finden sich Anknüpfungspunkte, die in der Runde diskutiert werden. Aus der Bibel Bezüge für die Realität des Alltags ableiten in Geschlechterfragen, das wollen die Teilnehmenden, von denen viele als Pastoren und Pastorinnen arbeiten, auch in ihren Predigten oder Bibelarbeiten in ihren Gemeinden. Einige von ihnen tun es bereits.

Und das dürfte Herausforderungen mit sich bringen. Während John Bvumbwe an der Gender-Akademie teilnimmt, ruft die Kirche in Malawi zu einer Demonstration gegen Homosexualität und gleichgeschlechtliche Ehen auf. In Malawi, aber auch in Indien, ist es bisher für homosexuelle Menschen nicht möglich, als Pastor*in zu arbeiten oder kirchlich getraut zu werden. In Malawi wird Homosexualität auch vom Staat verfolgt und Haftstrafen verhängt.

Nach zwei Tagen des intensiven Austauschs innerhalb der Gruppe, stehen an den folgenden Tagen in Hannover Einblicke in die Arbeit von Menschen und Institutionen, die sich mit Genderthemen befassen, im Mittelpunkt. Ein Besuch im Landeskirchenamt und ein Treffen mit einem schwulen katholischen Priester, spiegeln die Bandbreite der Themen ebenso wider wie Referate aus der kirchlichen und kommunalen Männerarbeit, der Arbeit mit Geflüchteten oder der Schwangerenkonfliktberatung.

"Es fühlte sich an wie eine Familie"

Der „Input von innen und außen“ ist es, den die Teilnehmenden beim Feedback am letzten Tag besonders wertschätzen. Hervorgehoben wird auch die konstruktive Atmosphäre, in der die nicht immer leichten Themen diskutiert werden konnten. „Es fühlte sich an wie eine Familie“, lautete ein Statement dazu. Die Teilnehmenden möchten den Kontakt weiterführen, zum Beispiel in Form von Zoom-Meetings. Und sie denken darüber nach, die ein oder andere Idee oder Projekte, die sie im Rahmen der Gender-Akademie kennengelernt haben, mit Unterstützung des ELM in ihrer heimischen Kirche umzusetzen.

Auch die Organisatorinnen ziehen ein positives Fazit. „Ich habe mich in der internationalen Solidarität bestärkt gefühlt. Es war gut zu erleben, dass so viele auch in anderen Ländern um dieselben Themen ringen. Diese Verbundenheit, auch in einem Verständnis von Glauben, das gesellschaftliche und politische Themen nicht ausklammert, hat mich ermutigt, neu aufgerüttelt und bestärkt“, sagt Susanne Decker-Michalek von den Evangelischen Frauen*. Mitgenommen habe sie die Erkenntnis, dass in manchen Ländern des globalen Südens die Kirchen schon intensiver dran seien an der Frage nach Geschlechtergerechtigkeit. Vor allem aber seien die Begegnungen mit den Menschen ein „unglaubliches Geschenk“ gewesen.

Internationales Planungsteam erweitert die Perspektiven

Vorbereitet wurde das Programm für die Woche von ELM-Referentin Gabriele De Bona, gemeinsam mit der Landespastorin für die Arbeit mit Frauen, Susanne Paul, und Susanne Decker-Michalek (beide von den Ev. Frauen*) sowie den Teilnehmenden Kagiso Morudu (Südafrika), Ashok Kumar (Indien) und Carmen Michel-Siegle (Brasilien). "Wir bringen die internationale Expertise ein, die Ev. Frauen* haben das Netzwerk hier in Hannover", erläutert Gabriele De Bona. Das internationale Planungsteam habe die Perspektiven zusätzlich erweitert. Thematisch habe man schnell einen gemeinsamen Nenner gefunden. "Die größte Herausforderung war, uns trotz verschiedener Zeitzonen gemeinsam zum Zoom zu treffen", lacht Susanne Paul.
 

Impressionen von der Morgenandacht

Splashscreen