"Tu deinen Mund auf für die Stummen ..."
Kirche darf bei Diskriminierung und Gewalt nicht sprachlos bleiben
"Tu deinen Mund auf für die Stummen... (Speak out in solidarity with the voiceless)" Dieses Bibelzitat aus den Sprüchen im Alten Testament (Sprüche 31,8) stand als Motto über der gesamten Gender-Sommerakademie. Daher war auch die erste gemeinsame Bibelarbeit diesem Vers gewidmet, der nur auf den ersten Blick einfach in die Tat umzusetzen ist. Jacobina Mawela aus Botswana hatte sich im Vorfeld Gedanken dazu gemacht, die sie mit der Gruppe teilte.
"In Gottes Augen sind wir alle gleich. Deshalb müssen wir, denen es gut geht, denen helfen, die nicht dieselben Möglichkeiten haben", erläuterte die pensionierte Lehrerin, die hier zum Beispiel an das Recht auf Bildung denkt. Ihr Verständnis von Solidarität, das sie an diese Bibelstelle anknüpft, führt zu ihrem Grundverständnis des christlichen Glaubens: "Mit Liebe und Solidarität kann man viel erreichen". Bis hierher waren sich die Teilnehmenden einig über die Aussage der Bibel. Ein anderer Aspekt sorgte aber für angeregte Diskussionen.
"Für andere zu sprechen, kann eine Form von Gewalt sein"
Ist es immer sinnvoll, für andere zu sprechen? "Nein, es birgt auch Gefahren", ist Kagiso Morudu, Pastor aus Südafrika, überzeugt. Aus seiner Sicht geht es vielmehr darum, die "Stummen" zu befähigen, für sich selbst zu sprechen. Das sieht ELM-Referentin Gabriele De Bona ähnlich. "Für andere zu sprechen, kann auch eine Form von Gewalt sein", ist sie überzeugt und sieht die Aufgabe von Kirche vor allem darin, "Räume zu schaffen, in denen die ‚Stimmlosen‘ sich äußern können."
Wie das in der Praxis aussehen kann, berichtete John Bvumbwe aus Malawi. In einem Projekt in Beni, das vom ELM mitgetragen wird, arbeiten Frauen und Männer in getrennten Gruppen daran, ihre Bedürfnisse zu formulieren. "Dort werden auch Themen besprochen, die man in einer gemischten, großen Gruppe nicht bespricht", so John Bvumbwe.
Sich mit den "Stummen" verbinden braucht Mut
Am Anfang aller Solidarität steht das "sich Verbinden" mit den Menschen, die sich nicht selbst helfen können. Hier komme, so Jacobina Mawela, die Liebe ins Spiel, aber es bedürfe nicht nur ihr, sondern auch des Mutes. "Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit", zitierte sie aus 2.Timotheus 1,7. "Sich mit den ‚Stummen‘ zu verbinden, braucht Kraft und Mut", bestätigte Pastorin Petra Röhrs aus Südafrika. Sie erinnerte sich an eine Begebenheit aus ihrer Kindheit. Ihre kleine, zarte Großmutter habe den Mut gehabt, einem Mann, der seine Kinder schlug, zu sagen: "Ich zeige dich an, wenn du nicht aufhörst damit."
Ein erster Schritt des "speak out" könnte im Hinblick auf Gender sein, über Sexualität in Bibelarbeiten oder Predigten zu sprechen. "Sex ist ein Tabu in der Gesellschaft", stellt Jacobina Mawela fest, die als Lehrerin erlebt hat, dass Eltern aufgebracht waren, wenn darüber im Unterricht gesprochen wurde. Ähnliches haben die Teilnehmerinnen aus Brasilien bei häuslicher Gewalt erlebt. "Es gibt Menschen, die nicht realisieren wollen, dass es das gibt", sagt Rechtsanwältin Isabella Reimann Gnas, die sich dagegen in ihrer Kirche engagiert. Egal ob häusliche Gewalt oder geschlechterbasierte Diskriminierung: "Die Menschen leiden, also müssen wir darüber sprechen", ist die brasilianische Pastorin Carmen Michel-Siegle überzeugt.