"Es kann auch ganz anders sehr gut sein"

Superintendent Mirko Peisert erlebte Gemeinde in der Kapkirche Südafrikas

"Ich wäre gern noch länger geblieben. Es hat mich sehr bewegt und berührt", sagt Mirko Peisert ganz zum Schluss.  Ebenso sachlich wie unterhaltsam hat der Hildesheimer Superintendent gerade eine knappe Stunde lang über die Eindrücke von seinem Aufenthalt in Südafrika berichtet. Vier Wochen lang hat er über das Austauschprogramm "Kirche gibt‘s auch anderswo", das vom Ev.-luth. Missionswerk in Niedersachsen organisiert wird, einen Kollegen im Südosten des Landes bei seiner Arbeit begleitet und im Pfarrhaus mit der fünfköpfigen Familie gelebt. Dabei konnte er den Alltag in der Kapkirche (Evangelisch-Lutherische Kirche in Südafrika) aus nächster Nähe erleben und Anregungen auch für seine Arbeit im Kirchenkreis Hildesheim gewinnen. Am Ende aber steht die persönliche Bereicherung im Mittelpunkt, die sich in einem emotionalen Abschied widerspiegelte, "obwohl ich doch nur vier Wochen da war", wie Peisert ebenso erstaunt wie berührt feststellt.

Kirche in einem anderen Kontext erleben

Am Anfang steht der etwas indifferente Wunsch, "Kirche mal in einem ganz anderen Kontext zu sehen und zu erleben". Das ist im Winter 2021/22, auch unter dem Eindruck der Planungen für den Zukunftsprozess der Landeskirche. Just zu dieser Zeit erreicht den Superintendenten eine Rundmail, die über das Austauschprogramm für Mitarbeitende der Landeskirche informiert. "Ich habe angefragt, und da waren gleich alle Türen offen", erinnert sich der 49-Jährige.
Sein Wunschland sei zunächst nicht Südafrika gewesen, vielmehr habe ihn Indien interessiert. "Ich habe aber offen thematisiert, dass ich ein schwuler Mann bin und es für mich Bedingung ist, dass das in der Partnerkirche nicht grundsätzlich in Frage gestellt wird", berichtet Mirko Peisert. Damit sei Indien schnell rausgefallen. Richtig überzeugt habe ihn dann ein vom ELM angebahntes, erstes Zoom-Gespräch mit Frank Schütte, dem Pastor der Gemeinde in East London, der dann sein Gastgeber wurde. "Da hatte ich sofort das Gefühl, das passt."

Nach einem Vorbereitungsseminar im Büro für internationale kirchliche Zusammenarbeit des ELM in Hannover, Auffrischen von Impfungen und Englisch-Vokabeln, besteigt Mirko Peisert Ende Januar den Flieger Richtung Südafrika. Ziel ist East London, eine Küstenstadt in der Provinz Ostkap. "Keine Perle, keine Touristenstadt", charakterisiert Peisert sein Reiseziel. Die ev-luth. Gemeinde von Pastor Frank Schütte zählt mit rund 500 Mitgliedern bereits zu den größeren im Land.

Überall treffen die Welten von Arm und Reich aufeinander

Der erste Eindruck bei der Ankunft: Hitze, eine andere Klimazone. Aber auch die Herzlichkeit der Familie und der Menschen in der Gemeinde. "Ich will keine Stereotype bedienen, aber das ist schon eine ganz andere Freundlichkeit als hier", findet der Hildesheimer Pastor. Auf der anderen Seite vermitteln die Sicherheitsmaßnahmen ein beklemmendes Gefühl: Mauern und  elektrische Tore, sind allgegenwärtig in dem Mittelstands-Viertel, in dem die Pastorenfamilie wohnt. Einfach mal spontan spazieren gehen ist ein Ding der Unmöglichkeit. Man bewegt sich nur mit dem Auto. Wenn am Dienstagmorgen der Müll rausgestellt wird, kommen Menschen aus dem naheliegenden Township in die Straßen um ihn nach Ess- und Brauchbarem zu durchwühlen. "Das fand ich kaum auszuhalten", erinnert sich Peisert. Überall treffen die Welten von Arm und Reich unmittelbar aufeinander. Eines der Shopping-Center von East London liegt direkt neben einem Viertel mit einfachsten Behausungen.

Der Gast aus Deutschland beteiligt sich schon nach kurzer Zeit aktiv am Gemeindeleben. "Andachten auf Englisch zu halten, das war erst eine Herausforderung, aber dann hat‘s mir echt Spaß gemacht", blickt er zurück. Er sei eher ein intellektueller Typ und predige auch so. Dann habe er aber gemerkt, dass er das, was er auf Deutsch sagen wollte, so nicht direkt ins Englische übersetzen konnte. "Ich musste zwangsläufig kürzere, einfachere Sätze machen, was ja fürs Predigen gut ist", resümiert er.  Auch den Austausch mit der Gemeinde empfindet Mirko Peisert als willkommene Gelegenheit für Perspektivwechsel, zum Beispiel bei einer Bibelarbeit über das Jesaja-Wort vom Regen, der die Erde fruchtbar macht als Symbol für das Wort Gottes (55,10). Dabei stellt sich heraus, dass Regen in Südafrika grundsätzlich als Bereicherung gesehen wird. Genervt, wie viele Deutsche bei Dauerregen, ist man davon nicht.

"Auswanderung ist ein großes Thema"

Auch politische Perspektivwechsel kommen vor. Dass der deutsche Wirtschaftsminister Robert Habeck gerade einen Vertrag über die Lieferung von grünem Strom in Namibia unterzeichnet hat, ruft im Nachbarland eher Wut als Freude über die Annäherung an Klimaziele hervor. In Anbetracht regelmäßiger Stromausfälle fragt man sich hier, wieso ein in Afrika knappes Gut ausgerechnet ins reiche Deutschland fließen soll.

Die Eindrücke aus dem Land, das vor noch nicht allzu langer Zeit als Regenbogennation gefeiert wurde und in dem Aufbruchstimmung herrschte, begleiten Mirko Peisert auch jetzt noch durch seinen Alltag in Hildesheim. "Man merkt, wie privilegiert man ist. Wir schimpfen, wenn in Deutschland Züge zu spät kommen oder die Baustellen zu lang dauern. Das sind im Vergleich Luxusprobleme. Die Stromausfälle in Südafrika sind anstrengend und zermürbend.  An einem guten Tag gibt es drei Stunden keinen Strom, aber oft sind es acht. Die Bahn funktioniert nicht, die Post ebenfalls. Es gibt viel Unzufriedenheit und wenig Perspektiven. Auswanderung ist ein großes Thema", fasst er zusammen.

"Ich habe mehr Vertrauen in das Wirken Gottes bekommen"

Auch die Unterschiede im kirchlichen Gemeindeleben reflektiert er bis heute, ohne dass er sie verallgemeinern möchte. Mit Digitalisierung und Social Media werde in Südafrika pragmatischer und unbefangener umgegangen. Die Bandbreite der Musik im Gottesdienst, mit einer bunten Mischung aus Chorälen, Gospel und Lobpreisliedern bis hin zu Taizé-Versen, empfindet er  - vor allem für die jüngere Generation - als ansprechender. Und dann ist da noch die Situation der Kirche als Institution. Im Hinblick auf den Zukunftsprozess der Landeskirche habe er viel und sehr Unterschiedliches mitgenommen, sagt Mirko Peisert. In Südafrika  habe er eine Kirche erlebt mit sehr wenig Verwaltungsstrukturen. Die Verwaltungsarbeit in der deutschen Kirche sei sehr anspruchsvoll und er wolle nicht darauf verzichten. "Aber es kann auch anders gehen und es kann anders auch sehr gut sein", so sein Fazit. Er habe mehr Vertrauen in das Wirken Gottes bekommen, das unabhängig sei von Strukturen.