Schuld und Vergebung
Wie Menschen sich von Gott entfremden und wieder zurück finden können.
Wie blicken Menschen in unterschiedlichen ev.-luth. Kirchen weltweit auf den Umgang mit Schuld und Vergebung? Diese Frage stand im Mittelpunkt bei einem Online-Seminar des ELM, zu dem Kurt Herrera, ELM-Referent für Kirchenentwicklung International/Ökumenische Zusammenarbeit Peru und Brasilien, sowie Dr. Joe Lüdemann, ELM-Referent für Globale Kulturelle Vielfalt/Ökumenische Zusammenarbeit Südafrika, Botsuana, Eswatini, eingeladen hatten.
Mit zwei ganz unterschiedlichen Kurzvorträgen wurde der internationale Austausch eingeleitet. Nkosingiphile Nzuza aus Südafrika beleuchtete die Begriffe Sünde und Vergebung vor dem Hintergrund der Geschichte und Gegenwart ihres Landes: Eine "Wahrheits- und Versöhnungskommission", die die schrecklichen Taten während der Apartheid nicht befriedigend aufarbeiten konnte – insbesondere nicht für die Opfer – und ein von gesellschaftlichen Spannungen begleiteter Wahlkampf im Mai 2024 legt für sie die Schlussfolgerung nahe: Vergebung muss einhergehen mit Gerechtigkeit. Aber juristische Rechtsprechung ist nicht viel Wert ohne die Vergebung aus dem Glauben heraus.
Auch für Bradn Buerkle, ELM-Referent für theologische Aus- und Fortbildung in Kirchen International, ist das Thema vielschichtig. Reue besteht für ihn aus mehreren Teilen: Erstens, die Erkenntnis der Sünde, zweitens für Christ*innen dem Glauben, dass um Christi Willen Sünden vergeben sind und drittens aus guten Werken, die auf die Reue folgen müssen. Die Beichte könne dabei als "kostbare und tröstliche Möglichkeit", Verfehlungen vor Gott zu bringen bzw. mit einem Seelsorger zu sprechen, eine wichtige Rolle spielen.
Beim anschließenden Austausch im Plenum und in Kleingruppen wurden weitere Aspekte beleuchtet. So ging es um die Notwendigkeit, durch Seelsorge bzw. Traumatherapie vor allem für die Opfer individuelle Hilfe anzubieten. Aber auch um unterschiedliche Sichtweisen auf Schuld: die theologische, die die Entfernung des einzelnen Menschen von Gott beschreibt und die allgemeine, ethische, die moralische Verfehlung meint.
Dass das Thema Schuld und Vergebung auf gesellschaftlicher Ebene eine mindestens ebenso große Herausforderung sein kann wie auf individueller, machte eine Teilnehmerin, die aus den Niederlanden stammt, deutlich. "Heute ist der nationale Totengedenktag, an dem der Kriegsopfer gedacht wird", erläuterte sie. "Es ist schwierig, an diesem Tag über Vergebung zu sprechen." Für alle Teilnehmenden – vom östlichen Sibirien bis ins südliche Afrika, dürfte gelten, was Nkosingiphile Nzuza am Ende zum Ausdruck brachte: "Es gab sehr viele Gedanken, über die ich noch weiter nachdenken will."