Menschen berühren mit Geschichten über Menschen

Im Auftrag des ELM haben zwei Filmemacher aus Berlin dokumentiert, wie Menschen in drei afrikanischen Ländern mit dem Thema Flucht umgehen.

Ein Thema, drei Filme: Im Auftrag des ELM haben Raphael Schanz und Philipp Seifert Menschen portraitiert, die fernab ihrer Heimat versuchen, ein neues Leben aufzubauen weil sie vertrieben wurden oder in ihrer Herkunftsregion keine Zukunftsperspektive mehr sahen. Einer der Filme erzählt von Binnengeflüchteten in Äthiopien, ein weiterer von einer geflüchteten Frau aus Simbabwe. Sie ist durch den Grenzfluss Limpopo und über Stacheldrahtzäune nach Südafrika gelangt, wo sie sich als "Illegale" durchschlägt. Ein dritter Film, der in Malawi gedreht wurde, handelt von Menschen, die trotz schwieriger Bedingungen in ihrer Heimat bleiben. Gemeinsam ist all den Protagonist*innen, dass Projekte des ELM ihre Lebenssituation zu verbessern versuchen.

Dirk Freudenthal, ELM: Am Anfang würde ich gerne von euch wissen: Wie seid ihr überhaupt zum Filmemachen gekommen?

Philipp Seifert: Ich hatte schon lange vor, im Journalismus zu arbeiten und bin relativ jung beim Lokalfernsehen gelandet, wo man erstmal alles macht. Irgendwann war mir dann klar, dass mich vor allem die Bildgestaltung interessiert und dass ich Richtung Kamera gehen würde. Ich habe dann viel als Assistent gearbeitet und versucht, nebenbei meine eigenen Sachen zu drehen und habe dann noch Medien und politische Kommunikation studiert – wobei ich auch Raphael kennen gelernt habe. Und dann entstand irgendwann die Idee zu einer eigenen Firma.

Dirk Freudenthal: War das ein „Küchentischprojekt“?

Raphael Schanz: Ein bisschen schon. Ich hatte auch nicht so den klassischen Weg eines Studiums an der Filmhochschule, sondern habe erst Kommunikationswissenschaft und Sozialwissenschaft studiert – und dann eben diesen Master in Medien und politischer Kommunikation Berlin gemacht. Wir haben beide gemerkt, dass wir  nicht wie viele andere in irgendwelchen PR-Abteilungen von Unternehmen landen wollen, sondern dass wir Dokumentarfilme machen wollen. Filmen war für mich schon als Kind ein Hobby, ich hätte aber nie gedacht, dass das mal ein Beruf sein könnte.

Dirk Freudenthal: Und was war das erste größere Projekt, das ihr dann zusammen gestartet habt?

Raphael Schanz: Das war „In meinen Augen“, ein Dokumentarfilm über das Selbst- und Fremdbild geflüchteter Menschen in Deutschland.

Dirk Freudenthal: Das scheint ja ein Thema zu sein, was euch beschäftigt? Die Filme, die ihr jetzt für das ELM gemacht habt, drehten sich ja auch um Flucht und Migration..

Philipp Seifert: Es ist natürlich ein Thema, was wahnsinnig präsent ist und auch immer mehr an Relevanz gewinnt. Aber es ist nicht so, dass das unser absoluter Schwerpunkt ist.

Raphael Schanz: Wenn ich so die Dokumentarfilme anschaue, die ich gemacht habe, ging‘s da tatsächlich oft um marginalisierte Gruppen, wie zum Beispiel Geflüchtete. Im Libanon habe ich mal einen Film gemacht über Jugendliche, die im politischen Diskurs überhaupt nicht vorkamen. Oder unser Film „Alleingang“ -  da ging es um Menschen, die von Amts wegen bestattet werden, da keine Angehörigen gefunden wurden.

Dirk Freudenthal: Wie seid ihr auf den Namen eurer Firma, "panther reh" gekommen?

Philipp Seifert: Panta rhei ist ein Ausdruck von Heraklit aus dem Altgriechischen und bedeutet „Alles fließt“. Das fanden wir ganz passend für die Arbeit des Filmemachens. Dass diese Tiere da drinstecken fanden wir auch eine schöne Idee und zu Phillip und Raphael passen die Anfangsbuchstaben ja auch ganz gut.

Dirk Freudenthal: Kommen wir mal zu den Filmen, die ihr für das ELM gedreht habt. Als ihr den Auftrag bekommen habt, wie seid ihr da rangegangen. Wie sind die Ideen entstanden?

Raphael Schanz: Das ELM unterstützt ja seit zehn Jahren Projekte für Geflüchtete in Äthiopien und Südafrika. Zu diesem Jubiläum sollten drei Kurzfilme über die Projektarbeit entstehen. Wir haben uns dann gefragt: Erreicht das die Menschen? Wir wollten keine Projektvorstellung mit Fakten und Informationen, die ein paar Verwaltungsmenschen schauen und dann sagen, aha, das hat das ELM realisiert. Wir wollten einfühlsame Geschichten über Menschen erzählen, deren Lebenssituationen erfahrbar machen und damit Menschen berühren.

Dirk Freudenthal: Und wie lief dann die konkrete Vorbereitung der Reise ab?

Philipp Seifert: Es war wahnsinnig viel Vorbereitung im Vorfeld, allein hinsichtlich der Formalien wie Zollbestimmungen und Visa. Wir haben mit den Leuten aus den Partnerkirchen im Vorfeld gesprochen über die Situation in den Ländern aber es ist immer was anderes, wenn man dann da ist. Wir hatten uns thematisch vorbereitet, aber kannten nicht die konkreten Geschichten. Die mussten wir dann vor Ort finden – und auch die Personen dazu.

Dirk Freudenthal: Mit was für einem Bauchgefühl reist man denn in so ein Land wie Äthiopien? Habt ihr oft  darüber nachgedacht, was alles passieren kann?

Philipp Seifert: Wir waren schon ganz schön angespannt, besonders kurz vor der Reise. Die Lage hat sich ständig verändert. Wir sollten ja eigentlich an die Grenze zum Südsudan, nach Gambella. Das ging dann nicht. Dann hieß es auch in Adama, die Milizen rücken jeden Tag vor und da wo wir gestern noch hätten hinkönnen, kann man jetzt nicht mehr hin. Wir mussten dann einfach darauf vertrauen, dass die Leute vor Ort am besten Bescheid wissen, was geht und was nicht. ‚

Raphael Schanz: Es war schon echt unser großer Bonus, dass wir im Auftrag der Kirche und mit den lokalen Organisationen vor Ort unterwegs waren. Die hatten Kontakte zu den lokalen Behörden und haben viel möglich gemacht. In Malawi haben wir uns vor der Einreise nach Äthiopien noch ein Holzkreuz besorgt und das in die Kameratasche gelegt. Die Kirchen sind in jedem Land, in dem wir waren, sehr anerkannt, auch für die Arbeit, die sie da leisten.

Dirk Freudenthal: Ich finde die Filme atmosphärisch sehr dicht. Ihr arbeitet ohne eigene Kommentare, lasst die Menschen sprechen. Ist das ein Stilmittel, das ihr grundsätzlich anwendet?

Raphael Schanz: Das ist die Art von Film, die wir gerne mögen: ein beobachtender Dokumentarfilm, der einlädt in neue Welten einzutauchen und in dem nicht alles durch Sprache erklärt wird. Ich finde Filme stärker, wo man sich selbst die Zusammenhänge erschließen muss, wo‘s vielleicht auch Fragen, Leerstellen und Widersprüche gibt.

Dirk Freudenthal: Wie geht ihr vor in der Begegnung mit den Menschen, die euch nicht kennen. Ist das schwierig, Bilder entstehen zu lassen, wo die Leute bei sich sind.

Philipp Seifert: Das war recht unterschiedlich von Land zu Land. Es war schon eine große Herausforderung, Vertrauen zu entwickeln in so kurzer Zeit und Situationen mitzubekommen, die nicht nur für die Kamera vorgeführt werden. Unser Ansatz war, erstmal ohne Kamera die Leute kennen zu lernen, wirklich zu verstehen, wo wir da sind. Und dann zu schauen, wer interessant sein könnte als Figur für einen Film. Das war für einige irritierend. Die dachten, jetzt kommt hier ein Filmteam und sie haben gar keine Kamera dabei. Was wollen die?

In Südafrika haben wir mit Nyasha schnell eine tolle Protagonistin gefunden. Da ging unser Plan auf, die Geschichte über eine einzige Protagonistin zu erzählen. Das hat aber schon in Malawi nicht mehr so funktioniert.

Raphael Schanz: In Malawi waren wir in dieser sehr abgelegenen Gegend, in Beni, wo nicht oft Leute zu Besuch kommen. Uns wurde da so ein krasser Empfang bereitet mit Gesang, das ganze Dorf hat sich versammelt und wir sollten eine Rede halten; wir sollten sowieso ständig eine Rede halten. Da haben wir uns anfangs echt Sorgen gemacht, wie wir Nähe herstellen können zu den Menschen, wenn das die ganze Zeit auf so einer förmlichen Ebene abläuft.

Wir brauchten echt einige Tage, um einzelnen Menschen näher zu kommen, auch weil wir keine gemeinsame Sprache hatten und auf Übersetzer*innen angewiesen waren. Wir haben dann viel Zeit mit einer Jugendgruppe verbracht, die gemeinsam ihr Dorf verändern wollte. Dort haben wir uns entschieden, drei Menschen zu begleiten.

In Äthiopien entschieden wir uns auch für mehrere Protagonist*innen. Es ging viel um die Vergangenheit, also die Nacherzählung der Vertreibung und des Ankommens. Daher stehen in diesem Film Gesprächssituationen im Fokus. Viele Menschen konnten auch sehr stark und berührend erzählen. Das wollten wir natürlich für den Film nutzen. So hat jeder Film durch die Umstände seinen eigenen Stil gefunden.

Dirk Freudenthal: Und in welcher Sprache habt ihr euch verständigt?

Philipp Seifert: In Südafrika konnten wir auf Englisch kommunizieren. In den anderen Ländern wurde für uns übersetzt. Das hat natürlich auch die Distanz vergrößert. Und es war oft so, dass die Person für die Übersetzung nicht ständig an unserer Seite war. Dann haben wir die Leute das machen lassen, was sie sonst auch machen und haben erst im Nachhinein erfahren, was da überhaupt gesagt wurde. Das war dann eher Glücksache, dass da was Relevantes dabei war.

Dirk Freudenthal: Welche Herausforderungen haben sich noch vor Ort ergeben, abgesehen von den Sprachbarrieren?

Raphael Schanz: Es war oft nicht so einfach, auf einen Nenner zu kommen. Weil die Partnerorganisationen oft eine ganz andere Vorstellung von dem Film hatten. Bei ihnen stand oft der Gedanke im Vordergrund, wir müssten jetzt zeigen, wie toll das Projekt ist. Da wurden uns als Protagonist*innen dann meist Personen vorgeschlagen, die besonders gut reden können oder in der Hierarchie des Dorfes eine bestimmte Rolle haben. Aber wir haben uns für etwas anderes interessiert.

Dirk Freudenthal: Dann seid ihr mit dem ganzen Material nach Hause gekommen, habt das gesichtet. Wie seid ihr dabei vorgegangen?

Raphael Schanz: Bei einem beobachtenden Film gehört es dazu , dass man sehr viel Material sichten muss. Man macht die Kamera an und entweder wird dann eine Szene draus oder halt  nicht. Wir hatten ungefähr 20 Stunden Rohmaterial für jeden Film. Wir haben uns vor Ort während des Drehs natürlich schon Gedanken gemacht, in welche Richtung der Film gehen  soll und was wir erzählen wollen. Nach jedem Drehtag haben wir das Material gesichtet und überlegt, ob uns noch etwas fehlt für unsere Geschichte. Als wir in Malawi gemerkt haben, dass Dünger ein wichtiges Thema ist, sind wir mitgefahren, als der vom Markt geholt wurde. Aber die Geschichten in ihrer jetzigen Form sind erst im Schnittraum entstanden.

Dirk Freudenthal: Ich könnte mir vorstellen, dass es manchmal auch eine schwere Entscheidung ist, wenn Szenen, die es auch wert wären gezeigt zu werden, am Ende doch rausfallen.

Philipp Seifert: Es ist eine Grundregel, dass immer die Sachen rausfliegen, die bildlich am schönsten waren (lacht).

Dirk Freudenthal: Das ist aber frustrierend.

Philipp Seifert: Ja, man baut ja eine Beziehung auf zu dem Material und wünscht sich natürlich, dass alles irgendwie vorkommt. Aber am Ende ist es eine dramaturgische Entscheidung und der Film wird besser, wenn man Sachen weglässt.

Dirk Freudenthal: Was erhofft ihr euch, wenn die Filme gezeigt werden?

Raphael Schanz: Wir wollten diese komplexen Themen Flucht und Migration greifbar und nahbar machen und menschliche Geschichten erzählen, so dass es nicht immer nur um Zahlen geht. Und nicht darum, wie das hier in Deutschland immer wahrgenommen wird: Halb Afrika bricht auf und will nach Europa. Die meisten Menschen, die fliehen, bleiben in ihrem eigenen Land oder fliehen ins Nachbarland.

Philipp Seifert: Für uns ist immer wichtig, dass Filme gesehen werden und wir wünschen uns, dass sie einen Beitrag zu einer Debatte leisten. Es wurde angesprochen, dass sie auch als Bildungsmaterial verwendet werden sollen. Das würde mich persönlich total freuen, wenn dann auch junge Leute erreicht werden. Das Thema ist unglaublich relevant und wird uns die nächsten Jahrzehnte weiter begleiten.

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