Jetzt ist die Zeit!

Ein persönlicher Rückblick unserer ökumenischen Mitarbeiterin Cristina Scherer aus Brasilien auf fünf bewegte Tage Deutscher Evangelischer Kirchentag in Nürnberg.

Erster Tag, am 07.06.2023: Jetzt ist die Zeit der Begegnung

Am ersten Tag des Kirchentags 2023 gab es einen Moment des Feierns - des Eröffnungsgottesdienstes und gleich danach den so genannten „Abend der Begegnung“ in den Straßen der Stadt Nürnberg, der das Ziel hatte, die 130.000 Teilnehmenden der Veranstaltung zu begrüßen. Es war ein besonderer Moment, Freundinnen und Freunde wiederzusehen, Menschen zu treffen, sich zu umarmen, zu beten, zu danken und sich über die einzigartige Gelegenheit zu freuen, Kirche zu sein mit all ihrer Multikulturalität, Offenheit, Liebe und Empathie, denn: Jetzt ist die Zeit!

Zweiter Tag, am 08.06.2023: Ökumene ist eine Aufgabe der Kirche

Jetzt ist die Zeit zu beten, zu debattieren, zu lernen, Ideen auszutauschen, uns für den Lebensatem und die Hoffnung zu öffnen, die der Heilige Geist, der unter uns ist, in uns weht und uns antreibt.

Wir beginnen den Tag mit einer Morgenmeditation an verschiedenen Orten. Ich konnte diesen Moment in der Kirche St. Lorenz erleben. Danach hatten wir eine Bibelarbeit über Johannes 2,1-12: „Meine Stunde ist noch nicht da“.

Ich hatte die Gelegenheit, an einer Messe der katholischen Kirche mit Eucharistiefeier auf dem Kornmarkt anlässlich des Fronleichnamsfestes teilzunehmen. Das war sehr interessant für mich, weil wir in Brasilien die größte katholische Gemeinde der Welt haben und deshalb die Ökumene von Kindesbeinen an und in vielen Momenten unseres täglichen Lebens erleben. In der überfüllten Feier waren Katholik*innen, Lutheraner*innen und Menschen aus vielen Ländern vertreten. Für mich ist die Ökumene eine Aufgabe der Kirche, denn sie ermöglicht es uns, in Dialog, Respekt, Offenheit, Vielfalt, Liebe und Hoffnung in dieser Welt zu leben. All das und noch viel mehr habe ich erlebt, denn jetzt ist die Zeit dafür.

Dritter Tag, am 09.10.2023: Ökumene sein und leben

Da ich mit Michel Sommer in Kontakt stand, hatte er mich eingeladen, an der Bibelarbeit teilzunehmen, die er über den biblischen Text 1. Mose 50,15-21 halten würde. Und das tat ich auch. Zu meiner Überraschung war die Schule voll mit jungen Leuten. Sie wollten mehr über die Methode erfahren, mit der er mit Playmobil, die auch hier in Deutschland hergestellt werden, über die Bibel spricht. Es war sehr fesselnd, wie er über die Geschichte von Josef und seiner Familie sprach und dabei die Zeit betonte, die Gott uns gibt, um zu handeln, zu vergeben, zu akzeptieren, willkommen zu heißen, zu weinen und sich gegenseitig zu umarmen, um einer gerechten Welt willen, die Gott für uns geschaffen hat. Anschließend nahm ich an einem ökumenischen Gottesdienst zwischen Katholik*innen und Lutheraner*innen teil, bei dem jeder die Gelegenheit hatte, über seine Erfahrungen mit der Ökumene zu sprechen.

Am Ende wurde die Eucharistie ohne Worte, nur in Stille, gefeiert. Wir waren berührt von der Einfachheit und Leichtigkeit, mit der wir Ökumene sein und leben können. Die Frage, die in der Luft liegt, ist: Warum gibt es immer noch so viele Hindernisse, damit die Ökumene in unserer Mitte mehr und mehr wirksam wird? Die Aktivitäten wurden an den verschiedenen Ständen der Messe in den Markt der Möglichkeiten fortgesetzt, wo es Diskussionen, Debatten und Besuche bei der Arbeit und den Aktivitäten der Kirche in Deutschland gab. Ich war wirklich beeindruckt von den vielen Möglichkeiten, hier Kirche zu sein und zu leben, etwas, das ich mir nie hätte vorstellen können. Ich bin sehr dankbar, dass ich diese Vielfalt erleben durfte und hoffe, dass jeder, der die Möglichkeit hat, eines Tages an einem Kirchentag teilnehmen wird. Am Abend war die wunderbare Show der Gruppe „Viva Voce“ und des Nürnberger Symphonieorchesters. Es war aufregend und großartig!

Vierter Tag, am 10.06.2023: Viele Zeichen der Herrschaft Gottes erlebt

Nach dem Morgengebet und dem Bibelstudium des Textes Lukas 17,20-25 durch zwei Feministinnen und Verteidigerinnen der Menschenrechte, der sozialen, ethnischen und migratorischen Gerechtigkeit wurde uns die Frage gestellt: Wann wird das Reich Gottes kommen? Wir sind aufgerufen, zu hoffen und die Barrieren abzubauen, die wir geschaffen haben, um das volle Kommen des Reiches Gottes, das Jesus Christus angekündigt hat, zu verhindern. Wir haben auf dem Kirchentag viele Zeichen der Herrschaft Gottes unter uns erlebt und wollen, dass sich diese Erfahrungen über die Mauern der Kirche hinaus verbreiten. Eine dieser Erfahrungen machte ich beim Gottesdienst speziell für Frauen, die in irgendeiner Form unter Gewalt gelitten haben: "Trotz allem: Trost und Stärkung für betroffene und unterstützende Frauen", mit der Projektgruppe "Trotz allem" aus München und der Bischöfin Kirsten Fehrs aus Hamburg. Dieser Tag war erfüllt mit dem Gefühl des Feierns, dem Gefühl, Freunde aus aller Welt zu treffen und dem Gefühl, meinen ersten Kirchentag in Deutschland zu feiern, mit viel Musik, Tanz, Bewegung, Feiern und Dankbarkeit.

Der letzte Tag, am 11.06.2023: Die Kirche ein Raum der Liebe, des Lebens und der Befreiung

Alles war sehr intensiv, sehr speziell, sehr gut geplant und vorbereitet.  Es war an der Zeit, sich zu verabschieden und an den nächsten Kirchentag 2025 in Hannover zu denken. Aber zuerst erleben wir den Abschiedsgottesdienst mit der Verkündigung des Textes von Prediger 3,1-8, wir konzentrieren uns wieder auf unsere Zeit, die nicht die kommende Zeit ist, sondern die gegenwärtige Zeit des Seins, des Lebens, des Handelns, des Verkündens, der Verwandlung, des Überwindens von Barrieren, des Erlebens des Friedens.

In der Schlusspredigt wurden wir mit Worten herausgefordert, die bekräftigen, dass die Kirche berufen ist, ein Raum der Liebe, des Lebens und der Befreiung zu sein. Wir sind privilegiert und können uns mit unseren Privilegien in den Kampf für Gerechtigkeit einbringen. Wir sind immer noch sehr zimperlich in unserem Sprechen und Handeln. Jetzt ist die Zeit für das Ende der Geduld. Jetzt ist es an der Zeit, die Wahrheit zu lieben, und möge diese Liebe in uns bleiben und uns anstecken, lasst uns optimistisch sein, denn die Zeit des Friedens, der Gerechtigkeit und des Todes ist möglich und unter uns.

Es war schön, das Abendmahl zu feiern und das Leben mit so vielen Menschen zu teilen, das Leben, die Lieder, die Gebete, die Diskussionen, die Aktionen, die Hilfe und das ehrenamtliche Engagement – um Kirche in Deutschland zu sein, die mit der Welt verbunden ist, im Dialog, in Empathie und Respekt.

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