"Einer trage des anderen Last"
Beim Lateinamerika-Studientag stand der Austausch über Engagement für „den Nächsten“ im Mittelpunkt.
Diakonisches Handeln ist einer der Grundpfeiler christlichen Lebens. Aber wie unterscheidet sich das Engagement für „den Nächsten“ in unterschiedlichen Kulturkreisen und Ländern? Und wo gibt es Parallelen? Darüber tauschten sich die Teilnehmenden beim Lateinamerika-Studientag des Ev.-luth. Missionswerks in Niedersachsen (ELM) aus. Der Tag, der schon seit etlichen Jahren ein fester Programmpunkt im Jahreskalender des ELM ist, dient auch dazu, Kontakte zwischen Lateinamerika-Interessierten zu ermöglichen und den eigenen Glauben im Bewusstsein einer weltweiten Gemeinschaft zu praktizieren. Zu Gast war das ELM bei dieser Veranstaltung im Haus der Kirche an Liebfrauen in Neustadt am Rübenberge. Der ev.-luth. Kirchenkreis Neustadt-Wunstorf pflegt selbst eine lebendige Partnerschaft mit einem Kirchenkreis in Südbrasilien.
Pastorin Cristina Scherer, ökumenische Mitarbeiterin des ELM und selbst Brasilianerin, leitete mit einer interaktiven Andacht den Tag ein. Im Mittelpunkt stand dabei die biblische Figur der Tabita aus der Apostelgeschichte 9,36-43. Mit verteilten Rollen wurde ein Text über Tabitas Wirken gelesen. „Ich möchte euch einladen, die Essenz der christlichen Gemeinschaft zu leben und Protagonisten in der Gemeinschaft des Glaubens zu sein, aktiv am Leben der Gemeinschaft teilzunehmen und wie ich in Wort und Tat Zeugnis von der Liebe Gottes zu seinem Volk abzulegen, sagt sie darin. „Und wir können wir das tun?“, lautet die Frage ihres Gegenübers. Worauf Tabita erzählt von Kranken, die sie besucht oder Menschen, für die sie Kleidung näht. Sie schließt mit den Worten: „Das Beste ist, dass ich mich sehr glücklich fühle, wenn ich Menschen helfen kann, ihre Last zu tragen.“
Per Zoom zugeschaltet berichtete Rodolfo Gaede, Dozent der theologischen Hochschule EST in São Leopoldo (Brasilien), welche diakonischen Ideen und Taten er in seiner Kirche, der Evangelischen Kirche Lutherischen Bekenntnisses in Brasilien, erlebt hat. Da sind zum Beispiel Menschen, die sich medizinische Fertigkeiten angeeignet haben, und in abgelegenen Gebieten, unentgeltlich bei Notfällen wie Schlangenbissen helfen. Oder die Familien, die anderen Familien bei der Ernte unterstützen wenn jemand wegen Krankheit ausfällt. Es bilden sich Gruppen, deren Mitglieder sich sicher sein können, dass auch sie auf die Solidarität der Gemeinschaft zählen können, wenn sie selbst einmal Hilfe benötigen.
Rodolfo Gaede erläuterte auch das biblisch-theologische Fundament. In apostolischen Briefen tauche immer wieder der griechische Begriff „Allelon“ auf, der als „einander“ übersetzt werde. Ein Beispiel sei Galater 6:2: „Traget einer des anderen Last.“ Die christliche Gemeinschaft lebe ihren Glauben in einem System der Gegenseitigkeit, in einer Beziehung der gegenseitigen Solidarität, des Engagements jedes Einzelnen für die anderen Menschen in der Gemeinschaft, so Gaede.
Einblicke in Diakonie in einem Kirchenkreis der Ev.-luth. Landeskirche Hannovers gab Superintendent Ottmar Fricke (Walsrode). Er beschrieb regelmäßige Hilfs-Angebote für ältere Menschen, aber auch spontane Ideen, wie die einer Frau, die für Friedhofsbesucher*innen Kaffee bereit hält und sich mit ihnen unterhält. Während es in Lateinamerika oft existenzielle Notlagen sind, die durch diakonisches Engagement gelindert werden, ist in Deutschland eher Zuwendung gefragt für Menschen, die einsam sind und Gesprächspartner*innen suchen.
„Diakonie ist Engagement im Kleinen, aber mit großer Wirkung“, fasst Nina Roggenbuck-Bauer, ELM-Referentin Internationale Partnerschaften zusammen. Sich darüber auszutauschen, sei motivierend, sagt sie. Wie wird diakonisches Handeln finanziert, was ist Sache der Politik und wo gibt es Bedarf an Hilfe oder Unterstützung? Darum ging es am Nachmittag, als die Teilnehmenden sich gegenseitig von „ihren“ Projekten und Erfahrungen berichteten.