
Ein Abend zu Desmond Tutu
Geistliche, politische und kulturelle Impulse gab es an einem vom ELM gestalteten Abend in der "Vesperkirche". Eine Aktion Hannoveraner Kirchen
Konzertsaal, Kino, Küche und Esszimmer, Raum für politische Gespräche und geistliche Impulse – all das ist Kirche bei der Aktion „Vesperkirche“, die von mehreren Kirchengemeinden in Hannover organisiert wird. Das ELM hat in diesem Rahmen einen Abend über Desmond Tutu gestaltet. Mit geistlichen Impulsen, einer Podiumsdiskussion, Live-Musik, Filmausschnitten und einer Mitmachaktion näherte man sich dem 2021 verstorbenen Erzbischof, der neben Nelson Mandela zur Galionsfigur der Anti-Apartheid-Bewegung wurde.
Dass im Publikum nicht nur Menschen sitzen, für die Bildung und Kultur zum Alltag gehören, ist durchaus erwünscht und gehört zum Konzept. Viele kommen bereits am Nachmittag zum Essen; einige bleiben, um auch die „geistige Nahrung“ am Abend mitzunehmen. „Wir wollen Leute aus sozial nicht so starkem Milieu ansprechen“, erläutert Pastor Matthias Grießhammer von der Lutherkirche. 200 Essensportionen haben seine zahlreichen ehrenamtlichen Helfer*innen kostenlos ausgegeben. An den Tischen im Kirchenraum kann man sich niederlassen, Getränke stehen ebenfalls bereit.
Dr. Joachim Lüdemann, Referent des ELM und zuständig unter anderem für Südafrika, leitet mit einer Andacht über zum inhaltlichen Teil der Veranstaltung. Es geht um Vergebung. „Ohne Vergebung kann es keine Zukunft geben, nicht für Individuen und auch nicht für Nationen“, vermittelt der Pastor des Missionswerkes einen der Grundsätze, die auch Desmond Tutu immer wieder in den Mittelpunkt gerückt hat.

Tobias Schäfer-Sell gibt eine kurze Einführung in die politischen Aktivitäten des Geistlichen aus Südafrika während der Apartheid. Vor allem wegen seines Einsatzes für Wirtschaftssanktionen habe Tutu Hass auf sich gezogen. Zeitweise war er von der Regierung zum Staatfeind Nr. 1. erklärt worden.

Mit Ausschnitten aus dem Dokumentarfilm „Children of the light“, der das Leben Tutus nachzeichnet, wird das Wirken des Kirchenführers anschaulich. Bei der anschließenden Podiumsdiskussion reflektieren die Teilnehmer*innen, welche Rolle Tutu während der Zeit der Apartheid und bis heute spielt. Hat er zu Recht 1984 den Friedensnobelpreis bekommen?“, fragt Moderatorin Ute Penzel. Ja, hier ist sich die Runde mit Joe Lüdemann, Mpho Hlongwa und Dr. Hanns Lessing einig.

„Mich hat beeindruckt, dass er ein von tiefer Überzeugung geleiteter Mensch war. Er war eine Stimme der Marginalisierten und hat Menschen auch körperlich beschützt“, sagt Lüdemann. „Er war wie ein großer Vater für unsere Gemeinschaft und hat viel für uns getan“, bestätigt Mpho Hlongwa, die derzeit im Freiwilligendienst des ELM ein Soziales Jahr absolviert. Sie hat in Praetoria Politik und Sprachen studiert und dort einen Verein gegründet, der sich für soziale Gerechtigkeit engagiert.

Tutu habe sich als Vorsitzender der Wahrheits- und Versöhnungskommission in den 90er Jahren zwar sehr für die inhaltliche Aufarbeitung der Apartheid engagiert. Seine Forderungen, die beispielsweise mit Steuersenkungen zu mehr Wirtschaftswachstum führen sollten, seien jedoch nicht umgesetzt worden, erläutert Dr. Hanns Lessing, Pastor und geschäftsführender Generalsekretär der Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen.

Spontanen Applaus erntet Mpho Hlongwa in der nächsten Fragerunde zur „Regenbogennation Südafrika“ mit ihrem Appell, weiter nach Südafrika zu blicken und dort gegen Ungerechtigkeit zu kämpfen. „Wenn du dich in einer ungerechten Situation neutral verhältst, stellst du dich auf die Seite des Unterdrückers“, erinnert sie an einen Satz von Tutu. Und kommt zu der ernüchternden Bilanz: Das von Tutu geprägte Ideal der ethnisch und kulturell vielfältigen Regenbogennation“ Südafrika sei gemessen an der heutigen Realität „ein Witz“.
Mit klangvollen Jazzstücken umrahmt Jazzpianist Lennart Smidt die einzelnen Themenblöcke des Abends. Den Zugang zu Afrika habe er durch den südafrikanischen Jazzpianisten Moses Molelekwa gefunden, erzählt er im Anschluss. Auch eine eigene Komposition hat Smidt im Gepäck: das Stück „Abrazzo“ (auf Portugiesisch „Umarmung“) bildet den perfekten Bezug zum von Tutu geprägten Begriff des „Ubuntu“.

Zum Abschluss gibt es „Ubuntu“ zum Mitmachen in Form einer Reminiszenz an die in der Corona-Pandemie weltweit zelebrierte „Jerusalema-Dance-Challenge“. Insa Brudy erläutert die ersten Grundschritte; die Einladung zum Mittanzen wird gerne angenommen… „Ich bin, weil du bist“, bedeutet Ubuntu wörtlich übersetzt.

„Ubuntu steht für den Glauben an ein universelles Band des Teilens, das alle Menschen verbindet“, erläutert Insa Brudy. Und lädt dazu ein, auch im Alltag, Ubuntu mit kleinen Gesten und Aktivitäten immer wieder sichtbar werden zu lassen.