Dekolonisierung: Missionswerk im Dialog

Standpunkte zum Thema Dekolonisierung aus der Sicht von Mission, Kultur und Politik wurden im Anschluss an einen Kinoabend ausgetauscht.

"Das leere Grab" – lautet der Titel eines Dokumentarfilms über die beschwerliche Suche zweier tansanischer Familien nach ihren Vorfahren. Rund 100 Gäste waren der Einladung der Stiftung Leben und Umwelt, des ZeitZentrum Zivilcourage und des Kino am Raschplatz zu diesem besonderen Kinoabend in Hannover gefolgt. Der Film zeigt das Ringen um Aufarbeitung der Geschichte aus der Sicht der Betroffenen, aber auch die Arbeit hinter den Kulissen von Museen, Aktivist*nnen und Politiker*innen.

In der anschließenden Diskussion erläuterte Staatsministerin Katja Keul ihre Bemühungen über die Rückführung der rund 17.000 menschlichen Überreste aus kolonialer Geschichte, die sich in deutschen Museen und Sammlungen befänden. Keul, die im Film begleitet wird, wie sie Nachfahren aus Tansania im Auswärtigen Amt empfängt, sagte, sie verzweifele daran, dass die tansanische Regierung ihr kein Gegenüber gäbe um die Rückgabe zügig umzusetzen.

Dr. Emmanuel Kileo, Direktor des ELM, bemängelte ein großes Ungleichgewicht in Bezug auf Informationen, die über diesen Teil der tansanischen Kolonialgeschichte fast ausschließlich auf Deutsch zugänglich seien. Außerdem lägen mittlerweile zwei Weltkriege, Britischer Kolonialismus und Unabhängigkeit zwischen den deutschen Kolonialverbrechen und heute. Auch wenn die Bundesregierung jetzt schnelle Aufarbeitung wolle, müssten die heutigen Regierungsvertreter der Opfer trotzdem auch "nein" sagen dürfen. "Die gesamte Aufarbeitung muss auf Augenhöhe passieren", so der Pastor, der selbst aus Tansania stammt. Man könne den Schmerz durch Entschädigungszahlungen nicht auslöschen, aber ein Zeichen setzen.  

Mareike Späth, Kuratorin der Ethnologischen Sammlung des Landesmuseum Hannover, verwies auf die Komplexität des Themas Provenienzforschung und Rückgabe, seien es Gebeine oder in der Kolonialzeit geraubte Kulturgegenstände. Dabei müsse unterschieden werden zwischen verschiedenen Ebenen und Interessen. Keines der deutschen Museen sei gegen eine Rückgabe, es gehe lediglich um das Wie.

Einig waren sich die Teilnehmenden der Podiumsdiskussion darin, dass das Thema nicht abgeschlossen werden könne, sondern einen Prozess darstelle, der auf Dialog und Begegnung angewiesen sei. "Begegnung ist das Allerwichtigste", so auch ELM-Direktor Kileo bei seinem Schlusswort, hier könne die Politik vielleicht sogar etwas vom Missionswerk lernen.

Dass sich auch heutige Problemlagen unmittelbar an Restitution und Dekolonisation anschließen, unterstrich Prof. Brigitte Reinwald von der Leibniz-Universität Hannover. Sie kritisierte ein massives Ungleichgewicht in Bezug auf Reisefreiheit, während die Deutschen ständig nach Tansania flögen, bekämen Forschende aus Tansania keine Visa und damit auch keinen Zugang zu hiesigen Debatten und Institutionen.

Moderiert wurde der Abend von MdL Diallo-Hartmann, die in diesem Zusammenhang auf den "Landesaktionsplan gegen Rassismus" hinwies, in dessen Umsetzung u.a. die Curricula der Schulen das Thema Kolonialismus stärker in den Blick nehmen werden.

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