Ein unbezahlbar wertvolles Netz

„Unlearn Poverty – let education drive peace and justice“ (Armut verlernen - damit Bildung zu Frieden und Gerechtigkeit führt): So lautete das Motto des F2GO-Camps in Südafrika.

Ein wichtiger Auftrag für die Kirchen, der nur gemeinsam realisiert werden kann, wie ELM-Referentin Ingrid Lüdemann bilanziert.

Der Auftrag 


Januar 2023: Die Idee einer internationalen Tagung des ELM zum weltweiten Bildungsauftrag der Kirchen weltweit im Kampf gegen Armut und Ungerechtigkeit soll Wirklichkeit werden – und ich bin maßgeblich für die Umsetzung verantwortlich. Die Zeit drängt. Ich schreibe an die Kirchenleitenden unserer Partnerkirchen und stelle die Idee vor.

Ein einwöchiges Seminar in Johannesburg zum Thema „Armut und Frieden“, mit dem besonderen Fokus auf den Zusammenhang zwischen Armut und Bildung. Viel zu oft ist Armut leider immer noch ein Synonym für die Hürde zu einer guten Bildung. Armut verhindert Bildung und Bildung verhindert Armut. 
Ein Schlüssel für die Armutsbekämpfung liegt daher in der Bildung, die Menschen über ihre konkrete wirtschaftliche Situation hinaus in dem Einsatz für Frieden und gegen Armut starke Werkzeuge an die Hand geben kann. Bildung ist der entscheidende Baustein hin zu einer wahrhaft gerechten, friedlichen und nicht von Armut gekennzeichneten Gesellschaft. 

Schon toll: Ein Netzwerk der weltweiten Kiche


Die Länderreferent*innen im ELM knüpfen den ersten digitalen Kontakt mit den Partnerkirchen. Man kennt sich schon länger. Vertrauen ist gewachsen. Die angemessensten Kommunikationswege sind bekannt und tatsächlich habe ich zwei Wochen später eine Liste von 16 Namen vor mir. Das sind sie nun also, die Teilnehmenden des F2GO-Camps aus Indien, Brasilien, Malawi, Eswatini, Südafrika, Äthiopien und Deutschland. Ich staune nicht schlecht, wie schnell ein internationales Team zusammengestellt worden ist, das Interesse zum Austausch hat, zur gegenseitigen Ermutigung, zum Dazulernen und zum Umsetzen in Taten. Schon toll, in solch einer Institution mitarbeiten und das Netzwerk der weltweiten Kirche erleben zu dürfen. 

Ende Februar sitzen meine Kollegin Hannah Rose und ich gespannt am PC und öffnen Zoom – die digitale Plattform auf der die erste Begegnung mit den Delegierten stattfindet: ein Planungstreffen. Bisher hat mich überrascht, wie gut die ersten Schritte aufeinander zu gegangen wurden. Dann ist doch mit der Identifikation von Delegierten die Haupthürde schon genommen, oder? 

Von den 16 Delegierten wählten sich zu Anfang nur 10 ein. Zwei informierten mich per WhatsApp, dass derzeit der Strom ausgeschaltet und daher Zoomen unmöglich sei. Die zwei Teilnehmenden aus Brasilien wirkten sehr müde: Eine Zeit für das Treffen zu finden, die sowohl ihnen als auch den indischen Delegierten passt, bedeutet Kompromisse - vier der Teilnehmenden haben die Kamera ausgeschaltet – sonst kostet das zu viel Datenguthaben. Auch wenn Corona einem die vielen Vorteile digitaler Kommunikation vor Augen geführt hat, so merke ich jetzt doch, dass es im Kontext der Partnerkirchen alles andere als selbstverständlich ist, dass eine Zoom-Sitzung gelingt und alle Beteiligten weiterbringt. 

Und trotzdem: Wir kommen ins Gespräch… 

Wir tasten uns aneinander heran und wichtige Informationen zur Planung des Camps in Johannesburg/ Südafrika, sowie Erwartungen und Aufgaben werden geteilt und verteilt. Alle Delegierten sollen für das Camp eine Präsentation vorbereiten, in der sie über die Armuts- und Bildungssituation in ihrem Land und diakonische Projekte zur Armutsbekämpfung in ihren jeweiligen Kirchen berichten. 
Hannah und ich stellen erleichtert fest, dass alle Delegierten gut mit der Tagungssprache Englisch zurechtkommen. Die Vorfreude wächst und ich denke: „Das könnte tatsächlich klappen! Jetzt heißt es Hoffen und Beten, dass die Delegierten aus Indien und Äthiopien ihr Visum bekommen!“

Aber im Prozess der Visabeantragungen wird mir schnell deutlich: Die Welt mag zwar ein globales Dorf sein, aber das heißt noch lange nicht, dass mein Nachbar in diesem Dorf auch leicht auf mein Grundstück bzw. in diesem Fall nach Südafrika gelangen kann. Unzählige Mails gehen hin und her, ständig werden neue Dokumente von der äthiopischen Botschaft gefordert und das möglichst sofort – die Verwaltung des ELM und die Assistentin des Bischofs der NELCSA in Südafrika verlieren nicht die Geduld beim Erstellen von Dokumenten.
Die Zeit vergeht wie im Fluge. Flüge werden gebucht, Referent*innen in Südafrika angefragt, das Programm entwickelt, Shuttle Services angefragt, Exposure Trips geplant, Informationen an die Delegierten geschickt ... 

Und plötzlich ist Ostern und am nächsten Tag befinden sich Anette Makus, Hannah Rose und ich auf dem Weg zum Flughafen. Am Flughafen Johannesburg erwartet uns die erste Herausforderung: Wir müssen uns und unser umfangreiches Gepäck (Materialien für die Programmgestaltung) in einem ziemlich kleinen Mietwagen unterkriegen. Geschafft. Ich atme auf und freue mich – wieder in Südafrika, das doch mehr als 10 Jahre mein Zuhause war! Und immer noch versuchen wir die beiden Frauen aus Äthiopien bei ihren Verhandlungen mit der Botschaft zu unterstützen. Sie und wir hoffen bis zur letzten Minute. Doch die Visa werden nicht gewährt. Ein große Enttäuschung. 

Was kann ich schon tun?


Doch alle anderen Delegierten reisen im Laufe des Freitags an. Endlich geht es los. Und ich beginne am Samstagmorgen in der wunderbaren Hope-Chapel, die zum Tagungsgelände des Emseni-Christian-Centres gehört, mit einer Andacht zu dem Vers „Ihr seid das Salz der Erde“. Angesichts der weltweiten Armut und Ungerechtigkeit kann man schnell mutlos werden kann und sich fragen: „Was kann ich als Einzelner/als Einzelne schon tun? Was können wir als Campteilnehmende schon ausrichten?“ Aber wenn wir einmal ein einzelnes Salzkorn zwischen die Finger nehmen, dann ist dieses Salzkorn deutlich spürbar. 
Auch von uns darf und soll etwas zu spüren sein in dieser Welt, da, wo wir leben und arbeiten. 

Das Camp war gefüllt mit vielen besonderen Momenten, Austausch, Lernerfahrungen, Gemeinschaft, Teilen, Herausforderungen und gemeinsam nach Lösungen suchen. Und so haben die Campteilnehmenden tolle Ideen entwickelt, wie sie sich in ihrem jeweiligen Kontext mit kleinen (Bildungs-)Projekten die sie vor Ort – in Absprache mit ihrer jeweiligen Kirchenleitung – im Kampf gegen Armut und für ein gerechteres und friedlicheres Miteinander einsetzen wollen. 

Viel zu schnell ist Freitag, der letzte Camptag ist da, und wir feiern das gemeinsam Erlebte. Mit einem Gottesdienst, in dem alle Teilnehmenden ein Glasfläschchen mit Senfsamen bekommen. Als Erinnerung daran, dass wir in diesem Camp eine Saat gelegt haben, die im Vertrauen auf Gottes Segen in den Projekten vor Ort wachsen kann. ELCSA-Pastor und Teilnehmer Ntuthuko Nkosi hat auf ganz persönliche Weise das Abendmahl austeilt. Anschließend feiern wir weiter – mit einem südafrikanischen Braai! 

Es hat sich gelohnt

Ich sitze wieder an meinem Schreibtisch im ELM in Hermannsburg/Deutschland. Es trudeln Nachrichten ein. Die WhatsApp-Gruppe wird nach der Rückkehr in die Heimatländer weiterhin rege genutzt. Gemeinsame Erinnerungen werden genauso geteilt wie erste Erfolge in der Umsetzung der Projektidee im eigenen Umfeld.

Mein Blick fällt auf eine Box mit Material vom Camp in Südafrika. Auch ein Wollknäuel ist dabei – und schon ist das Bild wieder vor Augen: Die Campteilnehmenden sitzen am Ende der gemeinsamen Woche zur Auswertungsrunde im Kreis. Es geht um die Fragen: Was war besonders wichtig für dich? Was wird sich nach dem Seminar in deiner Praxis ändern? Nach jedem Wortbeitrag wird das Knäuel von einem Teilnehmenden zum nächsten geworfen. Nach und nach formt sich ein Netz, ein Unterstützer-Netz. Wir haben uns während dieser Woche nicht nur in Funktionen, sondern als Menschen kennen gelernt. Ein informelles Netzwerk ist entstanden. Und das Tolle ist, dass hinter jeder Person in diesem Netzwerk ja auch die jeweilige Kirche steht – ein großes, stabiles Netz, geknüpft durch diese wunderbar vielfältige Gruppe von engagierten Christ*innen aus den unterschiedlichsten Kontexten, die zusammen gekommen ist zum Austausch über den Einsatz im Kampf gegen (Bildungs-)Armut und für ein friedlicheres gesellschaftliches (Zusammen-)Leben.

Mein Fazit lautet: Es hat sich auf jeden Fall gelohnt. Dieses Gott geschenkte Netz, das (nur) durch Begegnung entstehen kann ist, unbezahlbar wertvoll.

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