Made in Ethiopia
steht immer öfter auf den Etiketten von Textilien von großen (auch deutschen) Marken.
Und das hat seine Gründe: Die äthiopische Regierung plant, das Land zu Afrikas Zentrum für die Textil- und Bekleidungsindustrie zu machen. Ausländischen Firmen winken hohe Gewinne, denn die Löhne in Äthiopien sind in diesem Sektor am untersten Limit. Gabriele De Bona, Referentin Ökumenische Beziehungen Äthiopien, und Tobias Schäfer-Sell, Referent Advocacy International, wollten in einem ELMinar mehr über die Situation in der Texilindustrie in Äthiopien vermitteln und hatten sich deshalb mit Dr. Asnake Tesfaye und Jiska Gojowczyk kompetente Expertise an Bord geholt.
Dr. Asnake Tesfaye arbeitet als Koordinator beim DASSC, dem diakonischen Arm der äthiopischen Mekane-Yesus-Kirche (EECMY). Er hat an der Universität Addis Abeba in Sozialarbeit und sozialer Entwicklung promoviert und war Dozent an der Wollega-Universität. Die Textilindustrie kennt er von innen, denn er arbeitete in einer Textil- und Bekleidungsfabrik als General Manager und war technischer Berater mit einem Schwerpunkt auf der Einhaltung von Sozialstandards in Fabriken mit Fokus auf Fragen von Geschlechtergerechtigkeit und Menschenrechten.
Asnake beschreibt die Motivation, weshalb die äthiopische Regierung um ausländische Investor*innen wirbt. Die Fläche, die in Äthiopien zur Herstellung von Baumwolle genutzt werden könne, beträgt über drei Millionen Hektar.. Davon würden derzeit (Zahl von 2018) nur 3% genutzt. Außerdem habe Äthiopien Erfahrung in der Textilherstellung: Das erste moderne Produktionswerk für Textilien startete 1939 in der Stadt Dire Dawa. Asnake beschreibt unterschiedliche Anreize der äthiopischen Regierung, Äthiopien für ausländische Investoren attraktiv zu machen, als da wären: Export-Anreize, niedrig verzinsliche Kredite, Zollbefreiung für mitgebrachtes Equipment, kostengünstige Leasingoptionen und eine abgesenkte Körperschaftsteuer.
Problematisch sei, dass die lokalen Realitäten in den Textilfabriken Äthipiens in mehrerer Hinsicht nicht den internationalen Standards entsprächen. Asnake benennt die Schlüsselthemen, die dafür angegangen werden müssten: Lohngerechtigkeit (Arbeitslöhne müssen die Lebenshaltungskosten decken), Garantie von Flexibilität und Schutz, die Themen Gesundheit und Wohlbefinden am Arbeitsplatz müssten angegangen werden (derzeit spricht Asnake von einer stillen Pandemie beim subjektiven Wohlbefinden). Asnake beobachtet auch "Auflösungserscheinungen" in Bezug auf Diversität, Gleichheit und Inklusion. So hätten zum Beipiel junge Frauen keine Lobby und Menschen mit Behinderungen würden schlechter bezahlt. Zudem fordert er eine "Qualifizierungsrevolution" der Arbeiter*innen und eine lernende Kultur, um sicherzustellen, dass Arbeiter*innen ihre Beschäftigungsfähigkeit erhalten oder ausbauen können.
Neben mangelndem Engagement und politischen Schlupflöchern sieht Asnake einen zentralen limitierenden Faktor bei der Durchsetzung von Rechten von Arbeitnehmer*innen in der Tatsache, dass sowohl große Marken als auch Käufer*innen nicht auf nachhaltigen Verbesserungen der Arbeitswelt bestehen. Weder Marken noch Käufer*innen würden eine nicht-nachhaltige Praxis durch ihr Kaufverhalten abstrafen. Dabei sind nach Einschätzung Asnakes "die Möglichkeiten, als Käufer*innen Einfluss zu nehmen, sehr hoch, aber scheinbar werden sie ignoriert oder nicht als brennendes Thema wahrgenommen." Die größte Herausfordurung sieht Asnake allerdings in den Finanzen: "Es müsste eine Förderung für einen verantwortlichen Privatsektor geben, der umfassende Strategien und innovative, inklusive Geschäftsmodelle für wirklich nachhaltige Finanzierung, Produktion, Handel und Investitionen implementiert."
Als zweite Rerentin konnte Dr. Jiska Gojowcyk für das ELMinar gewonnen werden. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin bei SÜDWIND e.V., einem Institut für Ökonomie und Ökumene in Bonn, das sich weltweit für wirtschaftliche, soziale und ökologische Gerechtigkeit einsetzt. Ihr Schwerpunkt ist Gendergerechtigkeit im Arbeits- und Gesundheitsschutz. Zuvor war sie Doktorandin und Postdoktorandin am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung in Köln.
Gojowcyk ist keine Äthiopien-Expertin, aber Expertin für Arbeitsbedingungen in der Textil- und Bekleidungsindustrie weltweit. Sie weist darauf hin, dass häufig nur die sechste und siebte Stufe der Wertschöpfungskette im Textilbereich in den Blick geriete (nämlich die Konfektionierung und der Handel), dass aber auf allen neun Stufen Menschenrechtsverletzungen stattfänden (bei der Rohstofferzeugung (1), der Entkörnung (2), der Spinnerei (3), der Weberei/Strickerei (4), der Veredelung (5), dem Gebrauch (8) und der Entsorgung (9)).
Firmen wie H&M, ALDI, KiK diktierten die Preise, bestimmten die Bedingungen und die Art der Lieferung. Während die Käufer*innen also eine hohe Macht hätten, hätten die Herstellter vergleichsweise wenig Macht an den Bedingungen substantiell etwas zu verändern.
Gojowcyk stellt fest, dass in der Textilindustrie zu 80% Frauen eingestellt würden. Auffällig sei, dass Menschen eingestellt würden, die nicht aufbegehren (könnten): marginalisierte Gruppen, bestimmten ethnische Gruppen, Menschen mit unklarem Aufenthaltsstatus. Außerdem beklagt sie den hohen Produktionsdruck (Akkord) und die geringen Löhne, die nicht einmal die Lebenshaltungskosten decken. In Äthiopien seien die Einkommen derzeit am Geringsten.
Nach einer lebhaften Diskussion über die Rolle von Gewerkschaften, die (unrühmliche) Haltung Deutschlands bei der Verabschiedung der Nachhaltigkeitsrichtlinie in Europa (EU Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD)), darüber, ob COVID die Situation zusätzlich verschärft habe und ob eine Bewegung von unten (Kaufentscheidung) oder eine von oben (politische Regelungen) erfolgversprechender sei, bestand am Ende darüber Konsens, dass es nicht die Entscheidung von einzelnen Verbraucher*innen sein kann, die ein Billig-T-Shirt kaufen, ob Menschenrechte eingehalten werden oder nicht.