Leise rieselt der Schnee ...

Als er drei Jungs in Namibia beschreiben wollte, was Schnee ist, hat Holger Siebert (Mitglied im Missionsausschuss und Pfarrer der Ev. Kirche von Kurhessen-Waldeck) erfahren, wie schwer Erfahrungen zu vermitteln sind, die das Gegenüber nicht kennt.​​​​​​​

Es war einer dieser angenehm warmen, nahezu heißen Frühsommertage voller Sonne und kaum Wolken am Himmel. Eben so ein typischer Sonntag Ende November - wie man ihn in Katutura in Windhoek erleben kann. 

Nach dem Gottesdienst in der Tanidare Parish saßen drei Jungen vor der Kirche, alle drei im Grundschulalter. Man konnte ihnen ansehen, dass sie etwas auf dem Herzen hatten. Ich versuchte also mich innerlich zu wappnen für das, was da als Anliegen kommen könnte. Ihre Frage hat mich dann doch überrascht und kalt erwischt: "Sag mal, wie ist eigentlich Schnee?"  

Ich hatte mit einer Frage über Gott, Jesus, die Kirche oder auch über meine Heimat gerechnet. Aber, "sag mal, wie ist eigentlich Schnee?" Wie erklärt man jemandem, wie Schnee ist, wohl wissend, dass er ihn noch nie erlebt hat? Schnee ist dort immerhin eine höchst seltene Erscheinung. Wie bringt man jemandem etwas nahe, was es gibt, was sie oder er aber noch nie gesehen hat? Wer unter uns erinnert sich daran, wann sie oder er das erste Mal im Leben als Kind ganz bewusst Schnee erlebt habt? Und wie das war? Was hättet Ihr den Jungen geantwortet? Wie von etwas reden, was sie noch nie gesehen haben?  
Und außerdem, frei mit Hiob 38,22 gesprochen: "Bin ich denn jemals gewesen, wo der Schnee herkommt?“ Ich habe mich redlich bemüht diesen drei Kindern im Alter von ungefähr acht Jahren zu erklären, wie Schnee so ist: Wie er aussieht: Weiß. Wie er sich anfühlt: kalt, nass. Was man damit machen kann: man kann ihn manchmal formen, werfen, darauf rutschen usw..

Erst einige Zeit nach dem Gespräch fiel mir ein, dass ich eine Sache nicht beschrieben habe, nämlich wie es ist, wenn er fällt. Wie sich das anhört, welche Erinnerungen und Empfindungen es auslöst und vor allem, was wir als Christenmenschen spätestens seit dem Ende des 19. Jahrhunderts dank Eduard Ebels „Weihnachtsgruß“ damit verbinden, wenn er leise rieselt:  

Leise rieselt der Schnee,  
Still und starr liegt der See,  
Weihnachtlich glänzet der Wald:  
Freue dich, Christkind kommt bald.

In den Herzen ist’s warm,  
Still schweigt Kummer und Harm,  
Sorge des Lebens verhallt:  
Freue dich, Christkind kommt bald.

Bald ist heilige Nacht;  
Chor der Engel erwacht;  
Horch’ nur, wie lieblich es schallt:  
Freue dich, Christkind kommt bald.

Ein uns bekanntes Adventslied, den Kindern in Namibia bisher so fremd wie der Schnee. Denn mit Sprüche 26, 1 gesagt: "Wie Schnee nicht zum Sommer und Regen zur Ernte, so reimt“ sich das kühle Weiß nicht mit ihrer Erfahrung in Namibia. Für uns beschreibt es eine winterliche Erfahrung und adventliche Erwartung zugleich. Und dazu:  Weihnachtsmarkt, Schaufensterdekorationen, Werbespots und vieles mehr sind wie mit einer dünnen Schicht Pulverschnee romantisch überzogen. Der Gedanke schleicht sich ein, so müsse die Welt eigentlich immer sein, so harmonisch, so liebevoll, so schön.  
Auch wenn schon lange kein See in unserer Nähe still und starr gefroren daliegt. Und weihnachtlich glänzt der Wald auch nicht wirklich. Ob seine gebeutelte Gestalt den jahreszeitlichen weißen Glanz überhaupt noch tragen könnte? 

Widerständig, beinahe trotzig klingt dann das Lied. Von der Wärme im Herzen, vom Schweigen und Verhallen von Sorge und Harm singen wir und wissen sehr wohl: Es ist mehr Seufzer als dankbare Antwort auf unsere Realität. Oft eher eine Hoffnung wie "feiner Schnee vom Sturm getrieben“ (Weisheit Salomos 5, 14).

Das haben auch die drei Jungen leider schon erlebt. Und ich weiß wohl: Auch in diesen Tagen reißt der Tod Menschen auseinander, fahren Diagnosen von Krankheiten wie eine Faust in die Magengrube, zerspringt in mancher Beziehung die große Liebe in tausend Scherben. Das Töten in den Kriegen setzt sich im Advent fort. Zehntausende verlassen ihre Heimat und suchen eine sichere Zuflucht. Das alles wird für mich in den Tagen des Advents besonders schmerzhaft spürbar. Und in manchem Herzen klingt es eher nach von wegen „still schweigt Kummer und Harm“.  

Zu einem "Trotze Dem" möchte ich mich ermutigen lassen. Ich habe Grund dazu: "Denn gleichwie der Regen und Schnee vom Himmel fällt und nicht wieder dahin zurückkehrt …", Ihr wisst schon (Jesaja 55,10). Gottes Wort, gesprochen und Fleisch geworden, "wird nicht wieder leer zurückkommen, sondern wird tun, was IHM gefällt, und ihm wird gelingen, wozu er es sendet." Das steht fest, genauso wie die Antwort der Glaubenden auf die Frage des Jeremia: "Weicht denn von den felsigen Hängen der Schnee des Libanon“ (Jeremia 18,14)? Eine Glaubensfrage, keine Klimafrage.

Dass es in Herzen warm werden kann, das geschieht bis heute. Da, wo wir Dinge miteinander aushalten. Viele Worte braucht es nicht, eine Begegnung vielleicht, ein freundlicher Gruß, ein Wort. Das sagt genug. Ich denke an dich, bin bei Dir. 
Das und natürlich der Blick auf den, den uns der Advent ankündigt: Freue dich, Christkind kommt bald. Das Wissen darum, dass Gott sich auch nach 2000 Jahren noch uns Menschen zuwendet.   

Bald ist heilige Nacht; Chor der Engel erwacht;  
Horch nur, wie lieblich es schallt: Freue dich, Christkind kommt bald.  

Die Engel singen es, sie sagen es: Ist auch euch zur Seite und Eure Sorge ihm nicht fern.  

Leise geht das vonstatten. Gott kommt in die Welt und stellt sich uns zur Seite. Manchmal still und unerkannt. Man ahnt es eher, dieses "in den Herzen ist’s warm, still schweigt Kummer und Harm, Sorge des Lebens verhallt.“ 

Ich hätte es den drei Jungen in Namibia gegönnt, einmal richtig viel Schnee in die Hand nehmen zu können. So war mein erster Gedanke nach dem Gespräch mit ihnen. Inzwischen denke ich, noch schöner wäre es, wenn sie das, was unser Adventslieds ausdrückt, erleben könnten. Wenn sie vergleichbare Erfahrungen machen dürften wie die Frau in Sprüche 31,21: "Sie fürchtet für die Ihren nicht den Schnee; denn ihr ganzes Haus hat wollene Kleider.“

Das Schweigen der Sorge, eine vorweihnachtliche Freude, Erfahrungen der Geborgenheit, die Ankunft Gottes in ihrem Leben - das wünsche ich diesen drei Kindern. Und das wünsche ich uns in diesem Advent. Momente, in denen die Sorge schweigt und die Freude sich Bahn bricht. Gelegenheiten, in denen der Chor der Engel auch in uns erwacht. Zeit, in der auch wir spüren: Christkind kommt bald.

Möge Gott uns mit dieser Erwartung segnen.  

"Nichts, nichts hat dich getrieben / zu mir vom Himmelszelt /
als das geliebte Lieben / damit du alle Welt /
in ihren Tausend Plagen und großen Jammerlast /
die kein Mund kann aussagen / so fest umfangen hast."