175 Jahre Wandel, aber Gottes Mission bleibt!

Als 1853 die ersten Missionare und Kolonisten im Auftrag der Hermannsburger Mission Segel setzten, um nach Äthiopien zu fahren, da verwirklichte sich die Vision ihres Gründers, Pastor Ludwig Harms. Das Evangelisch lutherische Missionswerk in Niedersachsen (ELM) hat heute kein Schiff mehr. Aber es ist immer noch dem Auftrag Gottes zur Mission verpflichtet. Wie hat sich das Verständnis von Mission entwickelt? Dieser Frage soll hier nachgegangen werden.

Im 19. Jahrhundert gab es in der Kirche einen starken Aufbruch, das Evangelium nicht nur von der Aufklärung her zu interpretieren, sondern es wieder ganz mit dem Leben der Gläubigen in Verbindung zu bringen. Wie sich Pastor Ludwig Harms Mission vorstellte, hat er in einer Denkschrift vom 28. Juli 1849 dargelegt. Er orientiert sich dabei an den angelsächsischen Missionaren, die einst die Germanen missioniert haben. Sie führten das Christentum durch ihre vorbildliche Arbeit ein und gründeten Gemeinden.“[1] Auch in den Siedlungen der Hermannsburger Missionare, Handwerker und Bauern sollte anschaubar sein, was ein christliches Leben ausmacht und zur Nachahmung einladen.

Es ist zu vermuten, dass die Hermannsburger Seminaristen autoritär und patriarchal geprägt ihren Dienst taten. Denn Pastor Ludwig Harms und nach ihm die leitenden Männer des Missionswerkes haben in den ersten Jahrzehnten mit starker persönlicher Autorität und aus heutiger Sicht patriarchaler Macht gewirkt.

Zugleich seien die Hauptakteure der Mission immer die eingeborenen Menschen gewesen, schreibt Fidon Mwombeki[2]:  „Sie brachten den Missionaren die Sprache bei, sie zeigten ihnen, was zu tun war, sie begleiteten sie, sie gaben ihnen Essen und Grundstücke, um Kirchen zu bauen, und bauten die Kirchen mit ihren eigenen Händen,

Nach den Anfängen im 19. Jahrhundert wurde 1910 die erste Weltmissionskonferenz nach Edinburgh einberufen. Die Konferenz beriet über die Evangelisierung der Welt. Afrika und Lateinamerika waren nicht vertreten. Der Blick war von Norden in den globalen Süden gerichtet. Strukturell führte der Weg der Missionskonferenzen schließlich zur Konferenz für Weltmission und Evangelisation seit dem Jahr 2000.

Heute sind die Kirchen des globalen Südens nicht mehr wegzudenken und erheben ihre Stimmen in den Beratungen. Der Plan der reinen Ausbreitung des Evangeliums, wie er in Edinburgh 1910 formuliert worden ist, hat sich durch die Diskussionen und theologischen Reflexionen, vor allem aber durch den größeren Einfluss der Kirchen aus dem globalen Süden sich erheblich erweitert. Seit der Weltmissionskonferenz in Willingen 1952 hat sich der Gedanke der Missio Dei durchgesetzt. Gott ist Subjekt der Mission, die als ganzheitliche Mission verstanden wird und sich in ihren Aktionen an den benannten Bedürfnissen des Gegenübers orientieren muss. Ganz im Sinne Jesus, der Menschen fragt: „Was willst du, dass ich für dich tun kann?“ (Lukas 18, 41)

In der Zeit des Nationalsozialismus ab 1933 wurde im Missionswerk eine Position gesucht, die , die Arbeit irgendwie weiter möglich machte, ohne sich zu eng mit der Partei oder den Deutschen Christen zu verbinden. Die Stellung zu den Rassengesetzen war nicht eindeutig. Gunther Schendel stellt fest: „Ein entscheidender Schnittpunkt ist das Denken in den Kategorien der Differenz: Wie der Nationalsozialismus  zwischen den Rassen und Völkern strikt unterscheidet, so betonten auch die Hermannsburger Missionsvertreter die Eigenart der Völker und Rassen und zementierten sie mit dem Hinweis auf deren Charakter als ‚Gottesgabe‘ bzw. ´Schöpfungsordnung Gottes`. Diese Betonung der Eigenart sollte zwar die Kultur und Sprache der betreffenden Völker schützen; andererseits besteht aber auch die Gefahr, dass die Betonung der Differenz zur Billigung der politischen Ungleichheit wird.“[3]

In den 60er und 70 er Jahren hatte in Rückbindung auf die Anfänge und als Reaktion auf die Gesellschaft die Volksmission, d.h. missionarische Verkündigung und Stärkung der Gemeinden große Priorität. 2005 wurde durch Beschluss der Landeskirche Hannovers diese Arbeit des „Gemeindedienstes“ in die Missionarischen Dienste des Hauses kirchlicher Dienste (HKD) umgegliedert und zusammengefasst und die Schließung des Missionsseminars beschlossen.

Nun arbeitete die Mission mit dem Slogan „Partner in Mission“. Die Frage, welche Zusammenarbeit die Partnerkirchen mit dem ELM wollten, wurde wichtig. Die Notwendigkeit, Personal zu entsenden, veränderte sich, weil die nach dem 2. Weltkrieg selbstständig gewordenen Kirchen des Südens, längst eigenes Personal ausbildeten und einsetzten. Das ELM finanziert bis heute durch seine Projektförderungen Stellen  für einheimische Mitarbeitende in den Kirchen des Südens.

Seit 2012 gibt es Partnerkirchenkonsultationen im Abstand von zwei bis drei Jahren. Dort treffen sich die internationalen Partner des ELM mit Vertretern der Landeskirchen Hannovers, Schaumburg-Lippes und Braunschweigs. Gemeinsam werden Themen, die durch ein international zusammengesetztes Team vorbereitet werden, besprochen und Verabredungen für die weitere Zusammenarbeit getroffen.

So hat sich die Arbeit von dem Gedanken: „Wir bringen das Evangelium zu den Heiden“ wie es im 19. Jahrhundert formuliert wurde, verändert zu dem Gedanken: Christen aus aller Welt begleiten sich auf dem Weg, Kirche zu sein, die Botschaft des Evangeliums in den jeweiligen Kontexten zu verkündigen, ihm in Wort und Tat  Gestalt zu geben und so Menschen zum Glauben einzuladen.

von Michael Thiel, Direktor des ELM von 2014 bis 2023


[1] Grüßet alle meine Kinder, Hrsg. Ernst-August Lüdemann, Hermannsburg 1998 in Quellen und Beiträge zur Geschichte der Hermannsburger Mission und des Ev.-luth. Missionswerkes in Niedersachsen Band VI, S. 33f

[2] Fidon Mwumbeki, Begegnung auf Augenhöhe? In Zeitschrift für interkulturelle Theologie (ZMiss) 2010, 72-85, 75 zitiert nach Anton Knuth, Unterdrückt oder befreit? In Mission, Kolonialismus, Partnerschaft, Theologische Impulse der Missionsakademie 20, Hamburg 2022, S. 75 (F. Mwombeki war von 2006 – 2016 Generalsekretär der Vereinigten evangelischen Mission (VEW) in Wuppertal.

[3] G. Schendel, Die Missionsanstalt Hermannsburg in der Zeit des Nationalsozialismus, in: Die Hermannsburger und das „Dritte Reich“, a.a.O. S. 83

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