„... er wollte es nicht trinken“

Hoffnungsbotschaft zum Karfreitag von Dr. Yonas Yigezu Dibisa, Präsident der Mekane-Yesus-Kirche in Äthiopien

(Neben der Übersetzung ins Deutsche hat der Lutherische Weltbund den Text in Englisch, Spanisch und Französisch zur Verfügung gestellt).

Im Hintergrund einer Karfreitagsbotschaft steht die unvermeidliche Frage: Gibt es etwas „Gutes“ an diesem Feiertag, der im Englischen Good Friday heißt? Für Christinnen und Christen steht der Karfreitag für die dunkelste Vorstellung vom maximalen menschlichen Leiden, für die schlimmsten Grausamkeiten, die in der Geschichte der Menschheit begangen wurden. Andererseits ist der Karfreitag auch ein bedeutender Schritt auf dem Weg zum ewigen Sieg, der sich in der Auferstehung offenbart.

Unser Herr Jesus Christus hat aus freien Stücken Kreuzigung und Tod erlitten, ein Vorgeschmack auf seine Auferstehung. Er war bereit, all die schweren Schmerzen am Kreuz zu erdulden, um den ewigen Willen des Vaters zu erfüllen. Der Spott seiner Feinde gipfelte darin, dass „sie ihm Wein zu trinken“ gaben, „mit Galle vermischt”. In seinem Leidenszustand wollte er zumindest einen Schluck Wein nehmen, aber „da er’s schmeckte, wollte er nicht trinken. (Matthäus 27,34).” Die Widersacher Jesu hatten den guten natürlichen Wein verdorben. Sie versetzten ihn mit einer bitteren und giftigen Substanz, die den Schmerz betäuben sollte. Doch Jesus, dem unschuldig Leidenden, war bewusst, dass ihm das Gift den Schmerz der Kreuzigung ersparen sollte, aber er wollte nicht wie ein Verbrecher behandelt werden. Hätte Jesus die Betäubung angenommen, so hätte er nicht die Vollendung des göttlichen Heilsplans für die Welt verkünden können. Unmittelbar vor seinem letzten Atemzug verkündete Jesus die Erfüllung seiner Mission auf Erden: „Es ist vollbracht (Johannes 19,30).“

Jesus hat die Qualen des Kreuzes am eigenen Leib auf sich genommen, indem er sich bewusst und aus freiem Willen der Strafe für die Schuld unterworfen hat, stellvertretend für die Sünder, die Verbrecher. So schreibt Paulus: „Denn er hat den, der von keiner Sünde wusste, für uns zur Sünde gemacht, auf dass wir in ihm die Gerechtigkeit würden, die vor Gott gilt (2. Korinther 5,21).” So bekräftigt es auch Martin Luther: .“ „Wir sind ja Sünder und Räuber, darum sind wir des Todes und der ewigen Verdammnis schuldig. Aber Christus hat all diese Sünde auf sich genommen und ist dafür am Kreuz gestorben.“ (Hermann Kleinknecht (Hg.): D. Martin Luthers Epistel-Auslegung. Der Galaterbrief, 2. Aufl., Göttingen 1987, S.168).

Aus dem Leiden erwächst Hoffnung. Jesus hat nicht vergeblich gelitten. Inmitten all des Leids sah er ganz klar die kommende Freude voraus. Der Verfasser des Hebräerbriefs ruft uns zu: „Lasst uns laufen mit Geduld in dem Kampf, der uns bestimmt ist, und aufsehen zu Jesus, dem Anfänger und Vollender des Glaubens, der, obwohl er hätte Freude haben können, das Kreuz erduldete und die Schande gering achtete und sich gesetzt hat zur Rechten des Thrones Gottes (Hebräer 12,1b-2).“ Die Kirche ist von Gott dazu berufen, die frohe Botschaft der Hoffnung inmitten des Leidens weiterzugeben. So wie Jesus macht eine leidende Kirche Hoffnung, weil sie den Wandel voraussieht: von der Sünde zur Gerechtigkeit, vom Unrecht zum Recht, von Grausamkeit zur Freundlichkeit, vom Hass zur Liebe, von Feindseligkeit zur Freundschaft, von Zwietracht zur Harmonie und von Gewalt zur Stabilität und zum Frieden.

Verschließt sich die Kirche gegenüber dem Leiden, hat sie ihre Identität verloren. Das Leiden, der Tod und die Auferstehung unseres Herrn Jesus Christus erinnern uns daran, dass die Kirche sich bösen Mächten nicht unterwerfen, sondern sich ihnen mit größter Kraft widersetzen muss. Die Selbsthingabe Christi mahnt die Kirche, sich nicht auf sich selbst zu konzentrieren, sondern sich für das Wohl der anderen aufzuopfern. Die Kirche lebt nämlich nicht für sich selbst, sondern für die Welt. Sie ist kein Selbstzweck, sondern das Mittel zum Zweck.

Wenn wir also für das Kommen des Reiches Gottes beten, sollten wir uns auch der Schmerzen bewusst sein, die mit diesem Gebet verbunden sind. Als Jesus seinen Widersachern in die Hände fiel, wurde er schweigend nach Golgatha gebracht. Ihm war klar, dass er gekreuzigt werden und sterben würde, genau wie Jesaja es prophezeit hatte: „Als er gemartert ward, litt er doch willig und tat seinen Mund nicht auf wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird; und wie ein Schaf, das verstummt vor seinem Scherer, tat er seinen Mund nicht auf (Jesaja 53,7).“ Doch sein Schweigen und seine Unterwerfung waren weder passiv noch untätig. Vielmehr stellte er sich dem Bösen, er bekämpfte und besiegte es. Ohne jegliche Gewalt zerschlug er die Mächte, die die Menschheit der Finsternis unterwarfen, die ihre Herzen verdunkelt und sie von Gott weggeführt hatten. Tatsächlich kamen die Menschen zu ihm, um von der Knechtschaft der Sünde befreit zu werden. Vor allen Dingen aber sah er zugleichdie erfolgreiche Auferstehung voraus.

So wie alle Menschen sind auch wir als Christinnen und Christen anfällig für Leiden. Wir haben Anteil an der Gebrochenheit und dem Schmerz in unserer Welt. So wie die Widersacher Jesu den Wein vergifteten und bitter machten, so verdirbt die Gebrochenheit der Menschheit immer wieder die guten Gaben Gottes und beraubt viele Menschen des Rechts, sich am lieblichen Geschmack dieser Gaben zu erfreuen. Aber Christus hat den Sieg für uns gänzlich errungen. Lasst uns also den Herausforderungen, die auf uns zukommen, voller Hoffnung und mit unseren Gebeten entgegensehen. Setzen wir unsere Hoffnung auf ihn. Als Christinnen und Christen sind wir dazu berufen, auch für andere zu leben. Als Menschen, die dazu berufen sind, Zeugen des Willens Gottes zu sein, sollten wir dem Weg unseres Herrn folgen und uns weigern, den verdorbenen Wein zu trinken, sondern alles dafür tun, ihm wieder seinen natürlichen Geschmack zu geben.

Liegen wir krank im Bett, ist der Heiler an unserem Bett; sind wir gefangen, dürfen wir uns über die Hoffnung auf Befreiung freuen; sind wir unterdrückt, erwarten wir die Befreiung; und selbst auf unserem Sterbebett dürfen wir uns an der Verheißung der Auferstehung erfreuen.

Gepriesen sei unser Herr Christus!
Amen.

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