Existenzgründung als Mittel zur Friedenssicherung

Alle Informationen zu den Bildern stammen aus zwei Interviews mit Gabriele De Bona, Referentin Ökumenische Zusammenarbeit Äthiopien im ELM

Bei einem Treffen 2016, bei dem lokale Kirchenleiterinnen und -leiter sowie in Äthiopien tätige Kirchen und Missionswerke zusammenkamen, um Wege zur Stärkung von Mission, Gemeinschaft und Einheit zu erkunden, fehlten die beiden Synodenpräsidenten von Gambella Stadt und Gambella Umgebung. Sie konnten nicht kommen, weil es Unruhen gegeben hat und sie versucht haben, sich für Frieden einzusetzen. Als die Synodenpräsidenten zwei Tage verspätet kamen, haben sie über die Vorkommnisse berichtet:

In Gambella gab es Ausschreitungen. Eine individuelle Tat hatte zu mehreren hundert Toten geführt. Verantwortliche kamen ins Gefängnis, Regierungseinheiten wurden geschickt. Die haben dann scharf geschossen, aber nichts befriedet. Angesichts dieses Ausbruchs von Gewalt flossen bei beiden Synodenpräsidenten die Tränen. Spontan wurde auf der Versammlung für die Betroffenen gesammelt und für Frieden gebetet. 

In der Folge davon stellte die Mekane Yesus Kirche Projektanträge an das ELM, deren Oberziel es war, die Region zu befrieden. Das sollte erreicht werden, indem man mit den Menschen redet, sie in Peace-Clubs zusammenbringt und parallel dazu dafür sorgt, dass die Menschen ein besseres Leben haben. Durch Trainings zur Existenzgründung ist es den Teilnehmenden in den Projekten gelungen, ihren sozio-ökonomischen Status zu verbessern. Das Ziel war wie gesagt, Frieden herzustellen. Und die Finanzhilfen sind eine Methode, um die ökonomische Basis von Menschen zu verbessern und sie so stärker in die Verantwortung für Frieden zu nehmen.  

Grafik: TUBS/Wikimedia Commons CC BY-SA 3.0 - https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.en

Hintergrund: Wo wurden die Bilder aufgenommen?

Die Ausstellung "Existenzgründungen in Äthiopien" zeigt 12 Bilder von Menschen, die es mit Hilfe von Mikrokrediten geschafft haben, sich eine eigene berufliche Existenz aufzubauen. Das ist nicht selbstverständlich, denn diese Menschen haben schlechte Ausgangsbedingungen. Sie sind aus unterschiedlichen Gründen migriert und sind großteils vor kriegerischen Unruhen geflohen. 

Wo entstanden die Bilder?

Die gezeigten Bilder sind in zwei Projekten in Äthiopien aufgenommen worden. Die meisten Aufnahmen sind von Stefan Trappe, Fotograf aus Berlin, einige auch von Gabriele De Bona, Referentin Ökumenische Zusammenarbeit Äthiopien im ELM. 

Projekt 1 mit zwei Teilprojekten befindet sich in der Region Gambella:

Die Region Gambella liegt im äußersten Westen Äthiopiens und hat eine Grenze zum Südsudan. Das Projekt teilt sich in zwei Projekte auf.

1. Teilprojekt Lare Jekow:

Ein Teilprojekt ist in der Region um Lare Jekow, das ist in unmittelbarer Grenznähe zum Südsudan. Die Nuer leben sowohl im Südsudan als auch am äußersten Rand Äthiopiens im Westen. In Lare Jekow leben zu 90 Prozent Nuer, das sind sowohl Geflüchtete als auch Menschen aus den aufnehmenden Gemeinschaften. Sie lassen sicht nicht unterscheiden, weder kulturell, noch vom Aussehen her. Es unterscheidet sich auch sprachlich nicht. Aber natürlich wissen die Menschen aus den aufnehmenden Gemeinschaften, die in den Dörfern leben, wenn „Neue“ kommen. 

Die Region um Lare Jekow ist also ethnisch relativ geschlossen. Aber sie sind von allen Ereignissen im Südsudan betroffen, wo es ja auch unruhig ist, dort sind immer noch bürgerkriegsähnliche Zustände, und als Folge des Bürgerkrieges gibt es Hunger und überhöhte Preise. Alles was dort passiert, wirkt sich auf diese Nachbarregionen aus. Wenn dort Leute flüchten, dann kommen sie in die grenznahe Region Gambella und gehen im Grunde in ihre Familien hinein. Das hat Vorteile, aber wenn die Familien das nicht mehr kompensieren können, dann gibt es dort auch Probleme.

2. Teilprojekt:

Das andere Teilprojekt ist in dem Dorf Opanya, in der näheren Umgebung der Stadt Gambella. Dort leben hauptsächlich Anuak, die viele Nuer aufgenommen haben, die aus dem Südsudan gekommen sind. Bei beiden Teilprojekten geht es darum, Geflüchtete zu schützen, aber auch die Menschen in den aufnehmenden Gemeinschaften zu fördern, weil sie oft ähnlich bedürftig sind wie die Geflüchteten.

Projekt 2 befindet sich in Adama, einer Großstadt 100 Kilometer südöstlich von Addis Abeba in der Region Oromia. Dieses Projekt hat eine stärkere Frauenkomponente. Dort werden zwar nicht ausschließlich Frauen gefördert, aber mehr als 50 Prozent. Dort werden auch Binnegeflüchtete unterstützt, die aus dem Osten Oromias aus der äthiopischen Region Somali geflüchtet sind. In Somali leben auch Oromo, aber sie sind von dort vertrieben worden.

Als Gemeinschaft sind wir stark

Dieses Bild zeigt sechs Frauen einer insgesamt 20-köpfigen Spargruppe, die mit einem Startkapital von 37.000 Birr in Opanya einen Laden gemietet haben. Das entspricht Stand 09/23 616 Euro.

Angefangen haben sie mit einem Grundstock an Dingen des täglichen Bedarfs wie Nudeln, Reis, Zigaretten, Getränke und Öl. Dazu kamen Kleinigkeiten wie Bonbons und Kaugummis. Und sie haben Ideen entwickelt, was sich sonst noch gut verkaufen lässt. Dabei wird alles einzeln verkauft: eine Zigarette, ein Zuckerstückchen - alles wird einzeln abgezählt. Das sind ganz kleine Beträge.

Ihre Waren kaufen sie auf den Märkten in Gambella Stadt. Dafür fahren sie mit einer Art Sammeltaxi oder sie lassen sich vom Nachbarn, der gerade in die Stadt fährt, etwas mitbringen. Die Kundschaft sind die Leute vor Ort in Opanya. Opanya ist ein kleines Dorf. Dort gibt es weder ein Geschäft noch eine Bank. Mit dem Laden sind die Frauen konkurrenzlos. 

Das Ziel ist ein eigener Laden

Das ist Akwata Ochogi. Sie ist 42 Jahre alt und die Gruppenleiterin der Spargruppe um den Laden.

Im Video erzählt sie, dass der Name des Ladens "unity is good" (Einheit ist gut) ist. Der Name steht dafür, dass die Frauen als Gemeinschaft im Dorf stark sind.

Die Frauen betreiben den Laden gemeinsam. Sie haben überlegt, wie sie die Arbeit unter sich aufteilen und die Lösung gefunden, dass immer zwei Frauen den Laden für zwei Tage führen, dann wird gewechselt. Der Laden ist eine ganz wichtige Einnahmequelle, der die Frauen auf eigene finanzielle Füße stellt. Jede Frau hat ein individuelles Einkommen, aber zusätzlich legen sie immer noch etwas in eine Gemeinschaftskasse. Das Geld aus der Gemeinschaftskasse wird dann wieder in den Laden investiert.

Perspektivisch planen sie einen Laden zu kaufen oder bauen zu lassen. Ein eigenes Ladengeschäft, für das sie keine Miete mehr zahlen müssen.

Aus drei mach 17

Das Bild zeigt Zan Jock Ibong. Er hat im Projekt als Startkapital drei Ziegen erhalten, die er auf eine kleine Herde von 17 Tieren vermehren konnte. Damit konnte er die größten Erfolge im Bereich der Tierhaltung für sich verbuchen. Zan Jock ist 50 Jahre alt und hat sieben Kinder. Sein eigentliches Ziel ist es, genug Geld zu sparen, um seinen Kindern eine gute Ausbildung zu ermöglichen. 

Insgesamt haben in den beiden Projekten in Gambella 240 Haushalte jeweils 3 Ziegen erhalten.    

Zan Jock Ibong ist Nuer, kommt aus dem Grenzgebiet zum Südsudan und ist ein erfahrener Viehhirte. Viele Nuer kennen sich gut mit Tieren aus, wie man sie hält, welche Krankheiten sie haben. Sie kennen traditionelle Behandlungsmethoden und viele brauchen nie einen Tierarzt.

Die Idee des Projektes ist, dass die Teilnehmenden, die Interesse an Viehzucht haben, drei Ziegen bekommen, die sie dann vermehren. Von den Nachkommen müssen die Teilnehmer wieder ein oder zwei Tiere an neue Teilnehmende weitergeben.

Die Ziegenhaltung ist übrigens keine reine Männersache. Akwata Ochogi, die wir als Sprecherin des Ladens bereits kennengelernt haben, hat ebenfalls Ziegen. Das machen durchaus auch Frauen. 

Es gibt allerdings doch einen Unterschied: Männer versuchen häufig, von dem Erlös für verkaufte Ziegen Rinder zu kaufen. Das hat etwas mit Status zu tun. Die Preisunterschiede zwischen Ziegen und Rindern sind enorm. 

Tierzucht ist etwas, was sich auch viele Männer vorstellen können, anders als Gemüseanbau, weil der traditionell Frauenarbeit ist. Im Projekt wird versucht, an dieser Stelle einen Bewusstseinswandel einzuleiten und zugeschriebene Geschlechterrollen aufzuweichen. Die Projektverantwortlichen achten allerdings vor allem darauf, dass die ausgeübten Tätigkeiten in Übereinstimmung mit den Lebensumständen stehen, in denen die Menschen sich befinden. Wenn zum Beispiel Hühner verteilt werden, gehen die immer an die Frauen. Weil sie die Hühner in der Nähe des Hauses halten können, während sie auf die Kinder aufpassen.

Ein starkes Netzwerk

Auf diesem Bild sieht man ein Fischernetz. Es gehört den Männern aus dem Fischereiprojekt. Die "Fishermen-Group", so nennen sie sich selbst, hat als Hilfe zur Existenzgründung Nylon-Garnrollen bekommen, die man auch auf dem Bild sieht. Daraus Netze zu knüpfen, haben die Teilnehmer in einem Training gelernt. Neben dem Garn für die Netze, hat die Gruppe auch Boote bekommen.

Weil das Fischen fast nur in der Trockenzeit möglich ist, hat die Gruppe selbst eine Idee für die Regenzeit eintwickelt. In einem angemieteten Haus haben sie einen Getränkekiosk aufgemacht, den sie gewinnbringend betreiben. Jetzt haben sie die Idee, mit den Gewinnen aus dem Getränkeverkauf ein Haus zu bauen, das ihnen dann gehört. Dann müssen sie keine Miete mehr zahlen.

 

Das Risiko lohnt sich

Gebriel Ojulo, der Mann auf dem Bild, ist Teil der Fishermen-Group. Er zeigt uns stolz einen Fisch, den er gefangen hat.

Der Baro, in dem die Männer fischen, ist ein umgelenkter Fluss mit vielen Stromschnellen und Strudeln und deshalb schlecht zu beherrschen. Dass hauptsächlich nachts gefischt wird, macht das Befahren noch gefährlicher. Viele der Männer können zudem nicht schwimmen. Sie konnten es in den Flüssen und Seen Äthiopiens nicht lernen, denn dort kann man in den seltensten Fällen schwimmen – wegen der Krokodile und der Schlangen, aber auch wegen Bakterien. Die Fischerei ist deshalb ziemlich gefährlich.

"So wie die Männer davon erzählten, bekam ich aber das Gefühl, dass es ihnen eigentlich gefallen hat, so eine gefährliche Arbeit zu machen", sagt Gabriele De Bona. "Dazu kommt, dass der Fischfang sehr einträglich ist. Das Risiko lohnt sich sozusagen. Fisch ist in Äthiopien sehr beliebt und lässt sich gut verkaufen, sowohl in Opanya, aber auch in den nahegelegenen Städten. Für einen großen Fisch bekommt man zwischen 200 und 300 Birr, das sind umgerechnet 3-4 Euro. Das ist ein bedeutend höherer Gewinn als der, den die Frauen mit ihrem Laden machen."

Jeder muss etwas einzahlen

So sieht ein Gruppensparbuch von innen aus. Von außen ist es grün. In der Spalte der Einzahlungen sieht man gerade am Anfang relativ hohe Einzahlungen: 9550, 7600, 7450 Birr . Das sind die Anfangssummen, die die Teilnehmenden bekommen. Vor fünf Jahren waren 7450 Birr noch 200 Euro, jetzt sind es nur noch 124 Euro. Das kommt durch die Inflation. Und wenn man dann eine Summe von 400 Birr sieht, hört sich das in Deutschland nach einer hohen Summe an, das sind aber nur 6,66 Euro.

Die Existenzgründer und -gründerinnen sind in Spargruppen zusammengeschlossen und wählen sich jeweils eine Gruppenleitung, die koordiniert und verwaltet. Die meisten haben das erste Mal in ihrem Leben ein Sparbuch in der Hand und erzielen ein eigenes Einkommen.

Das erste Ziel ist, dass die Gruppe ein Sparbuch bekommt und als Gruppe etwas erwirtschaften kann. Da muss jede*r einzahlen. Die meisten versuchen zusätzlich ein eigenes Sparbuch anzulegen, um sich selbst ein bisschen Geld an die Seite legen zu können.

Selbst wenn die Frauen vielleicht nicht richtig lesen und schreiben gelernt haben, können sie jetzt ihr kleines Sparbuch führen und die Zahlen lesen. Sie können eine kleine Buchhaltung machen. Und obwohl sie nicht so richtig lesen und schreiben können und wissen, dass sich das vielleicht im eigenen Leben nicht mehr groß ändern wird, hoffen sie auf die nächste Generation und wünschen sich, dass es den Kindern einmal besser geht.

Das eigene Sparbuch!

Die roten Sparbücher, die hier in die Höhe gereckt werden, gehören den einzelnen Frauen. Wir sind hier in dem Projekt in Adama, das einen deutlichen Schwerpunkt auf der Förderung von Frauen hat. Auf dem Bild kann man sehen, wie stolz die Frauen sind, dass sie es geschafft haben, selbst so ein Sparbuch zu besitzen.

Die Frauen sparen auf die unterschiedlichsten Dinge. Manche kaufen sich ein Sofa oder etwas für die Wohnung. Oder einen Fernseher. Da wird dann oft gesagt: „Ich könnte mir jetzt auch einen Fernseher kaufen für die Kinder, dann lernen die was." Da wird manchmal fernsehen mit lernen gleichgesetzt. Aber vorrangig dient das Ersparte dazu, den Kindern den Schulbesuch zu ermöglichen. 

Speziell in dem Projekt in Adama wird Frauen Finanzkompetenz in allen Facetten vermittelt. Die erste Aufgabe für die Frauen ist es, zu sparen, damit sie die Anfangssumme, die sie bekommen haben, zurückzahlen können. Das Prinzip nennt sich "Revolving-Fund": die Frauen bekommen ein Anfangskapital, das sie investieren. Die erzielten Gewinne müssen sie dann einsetzen, um das Anfangskapital zu refinanzieren. In den hier vorgestellten Projekten haben die Frauen das Anfangskapital nicht in bar bekommen, sondern sie erhalten die Gegenstände oder Materialien, die sie für ihre Berufsausübung benötigen. Das wird in Geldwert umgerechnet, und das müssen sie dann abbezahlen.

Erst mit Kapital haben sie Zugang zu Finanzierungssystemen und einem Sparbuch. Das Sparbuch ist bei einer großen regionalen Bank. 

Mit diesem Kapital bekommen sie auch Zugang zu einer Art von Nachbarschaftsversicherung. Es gibt traditionell in Äthiopien Unterstützungsgruppen. Das ist ein wenig vergleichbar mit Sozialverbänden in Deutschland. Diese Nachbarschaftsgruppen helfen sich in Notlagen. Aber Voraussetzung ist auch da, dass man in der Lage sein muss, einzuzahlen. Wer kein Geld hat, wird nicht aufgenommen. Dann gibt es keine Möglichkeit, Geld zu leihen oder soziale Unterstützung zu bekommen. Auch zum "Networking" hat man keinen Zugang. Dabei ist gerade letzteres auch für die geflücheten Frauen ganz wichtig, um sich gegenseitig zu ermutigen und zu motivieren.  

Auf dem Foto sieht man auch eine alleinerziehende Mutter von zwei Kindern, die schätzungsweise zwischen acht und zehn Jahre alt sind. Diese Frau war für ein paar Jahre im Libanon als Haushaltskraft angestellt. Mit großen Hoffnungen aufgebrochen, kam sie mit nichts wieder nach Hause und konnte an dem Programm teilnehmen, weil dort auch die „returnees“ (Rückkehrer) aus dem Nahen und Mittleren Osten aufgenommen werden. Sie hat mit einem gemeinsamen Sparbuch für die Gruppe anfangen und war voller Freude, als sie dann auch ihr eigenes Sparbuch hatte. Und dann hat sie sogar noch für ihre zwei Kinder jeweils ein Sparbuch eröffnet. 

Realistische Erwartungen bei den Gewinnspannen

Das ist Balgev Hussein. Für das Anfangskapital hat sie sich einen Ofen gekauft und stellt bei sich im Hof das lokale Brot Injera her, das sie für 5 Birr (umgerechnet 8 Cent) pro Stück an kleine Läden im Viertel verkauft. Bei diesen einkommensschaffenden Maßnahmen wird vorher sehr sorgfältig ausgewählt, wer in das Projekt aufgenommen werden kann. Vor der eigentlichen Existenzgründung wird gemeinsam erkundet, wo die Interessen und Fähigkeiten der Teilnehmerinnen liegen, wie hoch ihr voraussichtlicher Verdienst sein wird und wie hoch die Gewinnspanne ist. Damit sie eine realistische Vorstellung davon haben, was sie erwartet, bevor sie sich eine Berufstätigkeit wählen. 

Einige, wie Balgev Hussein, suchen sich dann aus, Injeras zu backen. Auf dem Foto sieht man, dass unter dem Netz ein Korbteller ist und darauf liegt die Injera - das traditionelle äthiopische Brot. So flach wie Crèpes, aber viel größer. Manchmal bekommen die Frauen auch kein Geld sondern die Arbeitsmittel, die sie brauchen. Hier war das zum Beispiel eine Backplatte und Teff (das äthiopische Mehl) und Öl.

Die Frauen, die Injeras verkaufen, haben gerade ein bisschen Pech. Mit der Inflation ist der Preis für Mehl so durch die Decke gegangen, dass die Gewinnspannen verschwindend gering wurden. Deswegen hat man das sogenannte seed money, also die Anschubfinanzierung gerade angehoben, damit das ein bisschen ausgeglichen werden kann. 

Kaffee geht immer

Das ist Tigist Abere. Sie ist eine Binnengeflüchete aus der Amhara Region. Mit 15 ist sie von dort zu ihrem Onkel nach Adama gezogen. Weil eine Frau in der Gemeinde sie als fleißig und motiviert empfohlen hat und die auswählende Kommission die Einschätzung hatte, dass die junge, arbeitslose Frau Ideen hat und den ernsthaften Willen und die Durchhaltekraft ihr Leben zu verändern, hat man sie in das Programm aufgenommen. Als man sie gefragt hat, was sie machen will, hat sie gesagt: "Einen Coffeeshop."

In Äthiopien ist ein Coffeeshop ein Kaffee-Ausschank im Freien. Dafür hat Tigist ein Startkapital von 6750 Birr (das entspricht ca. 112 Euro) für die Ausstattung bekommen. Davon hat sie von den Sitzgelegenheiten für die Kunden, über die kleinen Tassen, Gläschen und Löffelchen bis hin zum Zucker und zum Kaffee alles finanziert. Wie alle anderen Teilnehmenden erhält sie in dem Projekt ein Finanz-Training. 

"Ich hatte den Eindruck, dass ihr diese Arbeit Spaß macht. Das gefällt ihr gut", sagt Gabriele De Bona. "Und sie hat da tatsächlich eine sehr gute Stelle. Diesen kleinen Platz musste sie mieten. Diese 1,50 mal 2 Meter Platz sind nicht umsonst, aber immerhin ist eine kleine Garage in der Miete inbegriffen. In der kann sie die Dinge, die sie für den Coffeeshop benötigt, über Nacht einschließen."

Exkurs Kaffeezeremonie

Tigist Abere bereitet den Kaffee ganz traditionell zu. Man sieht im Bild, dass der Kaffee in einer Tonkanne gekocht wird. Bei der klassischen Kaffeezeremonie wird der Platz, wo man sich zum Kaffeetrinken hinsetzt, mit Blumen ausgelegt wird und der Platz wird mit Weihrauch geräuchert, also gereinigt oder beduftet. Dann wird der Kaffee vor den Augen der Gäste zuerst geröstet und dann nicht gemahlen, sondern mit einem Mörser zerstampft. Dieser Brei wird in der Tonkanne sieben mal aufgekocht. Das dauert ungefähr eine Stunde und dann wird der Kaffee in Mokka-Tässchen serviert. Bei Tigist werden die Kunden nicht zu einer Zeremonie eingeladen, aber die Kaffeezubereitung ist identisch. Vielleicht lässt sie, wenn es schnell gehen muss, den Kaffee auch nicht sieben mal aufschäumen, sondern vielleicht nur dreimal. Aber im Prinzip ist die Herstellung genauso wie bei der traditionelle Kaffeezeremonie. Die Menschen setzen sich zum Kaffeetrinken. Der Coffee-Shop ist also eigentlich ein kleines Café. Coffee to go gibt es nicht. Man muss sich schon Zeit nehmen. 

Der brauchst Du nicht dumm zu kommen

DIe Frau im Vordergrund des Bildes ist Fatima. Sie steht in einer Gruppe von Oromo-Frauen aus Ost-Oromia. Die Frauen stammen aus den angrenzenden Regionen Oromias. Sie sind von dort vertrieben worden und nach Adama gekommen. Viele von den Menschen aus Ost-Oromia sind Muslim*innen und viele sind Händler*innen. Und einige hatten sich schon vor der Teilnahme an dem Projekt einen Laden aufgebaut und waren damit recht erfolgreich. Zum Teil sogar als sie noch in den Flüchtlingscamps waren. Das ist für die aufnehmende Gesellschaft, die selbst zu kämpfen hat, oft nur schwer zu verstehen. Und so hat sich nach zwei Jahren die Stimmung gedreht. Zuerst hatte man sich über die zurückgekehrten Oromo gefreut, aber dann wurde die muslimische Religion als Unterscheidungkriterium und Ablehnungsgrund benannt. 

Auf dem Bild kann man vielleicht sehen, dass diese Frau anders agierte als die anderen porträtierten Frauen. "Fatima nahm kein Blatt vor den Mund. Anders als die anderen christlichen Frauen. Sie war tougher. Als Händlerinnen sind sie selbstbewusst und durchsetzungsfähig. Das entspricht mehr dem, wie ich Frauen auch in anderen Teilen Afrikas erlebt habe, wo Frauen den Handel bestimmen und denen du echt nicht dumm kommen brauchst. Den Frauen auf dem Foto sehe ich an, dass sie ihre Interssen selbstbewusst vertreten. Im Interview hat sie sogar die Rollen gedreht: "Und ich hab hier dies, und die Kinder, ich hab sieben Kinder, und ich habe das gekauft und das gekauft und das gekauft und was machst Du so? Hast Du überhaupt einen Sohn und hast Du überhaupt Kinder?" Unseren Projektverantwortlichen war das unangenehm, dass die Frauen sich da hinstellen und da so eine Show abziehen. Das habe ich in der Art und Weise in Äthiopien noch nie erlebt. Die war stolz, was sie alles erreicht hat, aber so wie das sonst nur Männer demonstrieren, die mit ihrem dicken Auto vorfahren und sich auch breitbeinig hinstellen und lang und breit erzählen, was sie alles  gemacht haben." 

Fatima hatte als Hauptgeschäftsmodell Ziegen und verschiedene kleinere Businesses.

Sie kann machen, was sie richtig gut kann

Auf diesem Bild sieht man die Friseurin und Haarstylistin Marta Fantaye. Sie sitzt mit einer Kundin in dem kleinen Innenhof ihres Hauses. Es ist staubig und heiß und alles mögliche Werkzeug liegt herum. Marta Fantayes Mann ist Hufschmied und hat in demselben Innenhof seine Werkstatt. Die Friseurarbeiten macht Marta neben anderen kleinen Arbeiten und das scheint sich auch zu lohnen. Auf jeden Fall macht sie ihre Arbeit gern, hat Kontakt zu anderen Menschen und kann das bei sich zu Hause auf dem Hof machen.

"Ich glaube, die Frau war echt stolz auf diese Arbeit. Und hier sehen wir ja nur den Anfang der Frisur. Aber sie hat da auch ein Geschick für und kann eben das machen, was sie gerne macht und was sie richtig gut kann. Und sie kann das integrieren. In diesem Familienbetrieb kann sie das nebenher machen, weil die Kundinnen zu ihr kommen und sie nicht irgendwo kilometerweit in die Stadt fahren muss in eine Fabrik" stellt Gabriele De Bona fest.

Die Kinderversorgung während die Mütter arbeiten gehen, ist auch in Äthiopien ein Problem. Das mag manchmal einfacher erscheinen, wenn es eine große Familie im Hintergrund gibt, die sich kümmert. Aber das ist durchaus nicht immer der Fall. Binnengeflüchtete haben häufig keine Schwiegereltern oder Eltern, die sie unterstützen können. Kinder können auch nicht immer in die Schule oder in den Kindergarten. Man muss Geld haben, um die Kinder in die Schule zu schicken. Obwohl der reine Schulbesuch in Äthiopien nichts kostet. Aber man braucht eine Schuluniform und Papier und Stifte. Und auch wenn das für uns nur kleine Summen sind, reicht das schon aus, dass ein Kind unter Umständen nicht zur Schule gehen kann.

Da war echt eine gute Stimmung - alle helfen mit

Auf diesem Bild sieht man Netsanet Yitagesu in seiner Schmiedewerkstatt. Das Holzstück rechts im Bild, hat die Funktion von einem Amboss und die Stifte, die der Mann ins Feuer hält, sind Metallverstrebungen aus alten Gebäuden. Die werden eingeschmolzen. Er benutzt also Altmetall, um daraus Nägel herzustellen.

In Äthiopien, gibt es viele Pferde, die Lasten tragen. Netsanet hat sich auf Hufeisen spezialisiert und stellt dafür die Nägel her. Die Kinder haben am Wochenende die Aufgabe, die Nägel gerade zu klopfen. "Da geht es nicht um Kinderarbeit, sondern darum mitzuhelfen. Vergleichbar wäre vielleicht, wenn Kinder in Deutschland den Rasen mähen sollen. Das finden die auch nicht immer klasse", kommentiert Gabriele De Bona und ergänzt: "Die Kinder waren da zu zweit, und irgendwie gehört es ja auch dazu, dass man mithilft. Insgesamt fand ich: Auf dem Hof war echt eine gute Stimmung und das war für mich auch so ein Zeichen, dass da irgend etwas gut funktioniert zwischen dem Mann, der da in der Hitze arbeitet, und der Frau, die wir auf dem Bild vorher gesehen haben, wie sie einer Kundin die Haare macht und den Kindern, die auch mithelfen. Und ich wollte unbedingt dieses Bild, weil ich zeigen wollte, dass immer auch Männer arbeiten, die aber in der Darstellung von Projekten oft unsichtbar bleiben."

Hintergrund: Wo wurden die Bilder aufgenommen?

Die Ausstellung "Existenzgründungen in Äthiopien" zeigt 12 Bilder von Menschen, die es mit Hilfe von Mikrokrediten geschafft haben, sich eine eigene berufliche Existenz aufzubauen. Das ist nicht selbstverständlich, denn diese Menschen haben schlechte Ausgangsbedingungen. Sie sind aus unterschiedlichen Gründen migriert und sind großteils vor kriegerischen Unruhen geflohen. 

Wo entstanden die Bilder?

Die gezeigten Bilder sind in zwei Projekten in Äthiopien aufgenommen worden. Die meisten Aufnahmen sind von Stefan Trappe, Fotograf aus Berlin, einige auch von Gabriele De Bona, Referentin Ökumenische Zusammenarbeit Äthiopien im ELM. 

Projekt 1 mit zwei Teilprojekten befindet sich in der Region Gambella:

Die Region Gambella liegt im äußersten Westen Äthiopiens und hat eine Grenze zum Südsudan. Das Projekt teilt sich in zwei Projekte auf.

1. Teilprojekt Lare Jekow:

Ein Teilprojekt ist in der Region um Lare Jekow, das ist in unmittelbarer Grenznähe zum Südsudan. Die Nuer leben sowohl im Südsudan als auch am äußersten Rand Äthiopiens im Westen. In Lare Jekow leben zu 90 Prozent Nuer, das sind sowohl Geflüchtete als auch Menschen aus den aufnehmenden Gemeinschaften. Sie lassen sicht nicht unterscheiden, weder kulturell, noch vom Aussehen her. Es unterscheidet sich auch sprachlich nicht. Aber natürlich wissen die Menschen aus den aufnehmenden Gemeinschaften, die in den Dörfern leben, wenn „Neue“ kommen. 

Die Region um Lare Jekow ist also ethnisch relativ geschlossen. Aber sie sind von allen Ereignissen im Südsudan betroffen, wo es ja auch unruhig ist, dort sind immer noch bürgerkriegsähnliche Zustände, und als Folge von dem Bürgerkrieg gibt es Hunger und überhöhte Preise. Alles was dort passiert, wirkt sich auf diese Nachbarregionen aus. Wenn dort Leute flüchten, dann kommen sie in die grenznahe Region Gambella und gehen im Grunde in ihre Familien hinein. Das hat Vorteile, aber wenn die Familien das nicht mehr kompensieren können, dann gibt es dort auch Probleme.

2. Teilprojekt:

Das andere Teilprojekt ist in dem Dorf Opanya, in der näheren Umgebung der Stadt Gambella. Dort leben hauptsächlich Anuak, die viele Nuer aufgenommen haben, die aus dem Südsudan gekommen sind. Bei beiden Teilprojekten geht es darum, Geflüchtete zu schützen aber auch die Menschen in den aufnehmenden Gemeinschaften zu fördern, weil sie oft ähnlich bedürftig sind, wie die Geflüchteten.

Projekt 2 befindet sich in Adama, einer Großstadt 100 Kilometer südöstlich von Addis Abbeba in der Region Oromia. Dieses Projekt hat eine stärkere Frauenkomponente, dort werden zwar nicht ausschließlich Frauen gefördert aber mehr als 50 Prozent. Dort werden auch Binnegeflüchtete unterstützt, die aus dem Osten Oromias aus der äthiopischen Region Somali geflüchtet sind. In Somali leben auch Oromo aber sie sind von dort vertrieben worden.

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